Götterschild
Themuraia verstehen würden, auf was er hinauswollte, zog er sich weitgehend aus ihrem Denken zurück und behielt gerade so viel Kontakt, dass ihm ihre Gefühlsregungen nicht entgehen konnten.
Wie befürchtet, geschah zunächst überhaupt nichts. Arton wollte schon enttäuscht einen weiteren Versuch unternehmen, da fiel ihm auf, dass die eingetretene Stille im ständig rauschenden Gedankenstrom der Zarg eigentlich sehr ungewöhnlich war. Er überlegte schon, ob er versehentlich die Verbindung zu ihrem Denken gekappt hatte, da stiegen plötzlich Bilder in seinem Geist auf, die in ihrer Detailfülle, untermalt von Gerüchen und Geräuschen, niemals von ihm selbst hätten stammen können. Die Zarg begannen zu sprechen.
Sie sprachen aber nicht zu ihm, denn das hätte ja bedeutet, dass sie ihn als etwas Außenstehendes wahrnahmen, sondern sie reagierten ganz einfach auf die Bilder, die Arton in ihren Gedankenstrom hatte einfließen lassen. Vielleicht war das ihre Art, über Dinge, die sie wahrnahmen, nachzudenken. Tatsächlich begannen sie zunächst damit, die Szenarien, die Arton ihnen geboten hatte, zu wiederholen, wenngleich auch nicht völlig identisch, sondern mit deutlich mehr Einzelheiten und einer mehrfach veränderten Drachengestalt. Er erkannte nun in der schattenhaften Schreckenskreatur ein Wesen, das vage einer riesigen Schlange mit zwei segelartigen Flughäuten glich, die sich auf beiden Seiten zwischen den recht dünnen, dafür unglaublich langen Vorder- und Hinterbeinen spannten. Auch in der Vorstellung der Wurzelbälger wurde die Echse am Ende der Schlacht erschlagen und sie zogen heim. Ein Gefühl der Erleichterung stellte sich ein, doch Arton konnte nicht entscheiden, ob die Themuraia wegen des Tods des Drachen so empfanden oder weil sie zurück in ihre Bauten kamen.
Im nächsten Augenblick veränderte sich ihr Denken. Die Bilder kamen jetzt schneller. Mit jedem Wimpernschlag erblickte Arton neue Bruchstücke von irgendwelchen Kämpfen. Wieder huschten die grauenhaft großen Schatten durchs Bild, die er nun allerdings eindeutig als Drachen identifizieren konnte. Endlich begriff er, dass die Zarg gerade in ihren Erinnerungen nach vergleichbaren Eindrücken suchten, wie er sie ihnen zuvor gesandt hatte. Es sah ganz so aus, als versuchten sie, seine Gedankenbilder einzuordnen, indem sie sie anhand ihrer bereits gemachten Erfahrungen beurteilten. Ganz ähnlich würde auch ein Mensch mit einer ihm unbekannten Situation umgehen, überlegte Arton. Er war fasziniert.
Plötzlich wurden die Kampfszenarien abgelöst von geradezu idyllischen Bildern von weiten, grünen Wiesen und dunklen Wäldern, deren harziger Duft so deutlich in der Nase zu liegen schien, als stehe er wirklich zwischen den knorrigen Stämmen. Zuerst vermutete Arton, dass es sich dabei um eine Art Wunsch der Zarg handelte, ein Ideal, wie sie sich ihr Leben vorstellten. Weit und breit war kein anderes Wesen zu entdecken, bis ihm schließlich ein Blick in den Himmel gewährt wurde. Dort flogen sie, Dutzende, wenn nicht gar Hunderte von ihnen. Sein erster Gedanke war, dass es sich um Flugwölfe aus Kersilon handeln müsse, allein schon wegen der großen Zahl, doch die lang gestreckten, spindelgleichen Körper mit Flügeln so groß wie fünf Segel waren unverwechselbar. Das konnten nur Drachen sein, die Luft war erfüllt von ihnen. Und unmittelbar darunter, auf der weiten, grasbestandenen Fläche, zog eine große Schar Zarg mit mehreren entasteten Baumstämmen in Richtung eines niedrigen Hügels, ihrem Zuhause. Kaum hundert Schritt entfernt davon stand eine kleine Gruppe Menschen, die sie neugierig beobachtete. Sowohl Drachen als auch Menschen und Themuraia nahmen zwar Notiz voneinander, doch ließen sie sich gänzlich unbehelligt. Es herrschte Frieden.
Abrupt änderte sich dieses Bild der Harmonie. Arton erhaschte einen kurzen Blick auf mehrere vollkommen befremdliche, unförmige Wesen, die die Themuraia und Menschen um sich scharten. Dann begannen ein weiteres Mal Kampfszenen aufzublitzen, in denen abwechselnd Menschen, Themuraia, Drachen und die formlosen Kreaturen ohne Namen zu sehen waren, in zähem Ringen, oft sterbend oder schwer verletzt. Am Ende war der Himmel leer, keine der geflügelten Echsen schwang noch ihren mächtigen Leib durch die Luft. Stattdessen sah er am Boden zwei Menschen, jeder an der Spitze eines gewaltigen Heeres, der eine mit einem dunklen, der andere mit einem hellen Schwert in den Händen. Arton riss unwillkürlich
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