Götterschild
und sprangen der vollkommen verdutzten Tarana in die Arme. Das Glück, das aus diesem Bild sprach, zauberte ein Lächeln auf das Gesicht eines jeden, der Zeuge dieses unverhofften Wiedersehens wurde. Thalia, Arlion, aber auch Daia und Tarana liefen Tränen der Freude die Wangen hinab und es dauerte lange, bis sich das Knäuel aus den sich Umarmenden wieder zu lösen begann.
Immer noch vollkommen überwältigt erkundigte sich Tarana, wie die Kinder denn um alles in der Welt in die Festung gekommen seien, und Thalia berichtete ihr die ganze Geschichte von ihrem Versteck im Baumstamm bis hin zu ihrer heimlichen Fahrt in der Werkzeugkiste des Wagens und dem wilden Ritt in die Festung. Tarana schüttelte zwar manches Mal ungläubig den Kopf, aber nicht ein Wort des Tadels kam über ihre Lippen, sondern im Gegenteil, am Ende sprach sie beiden Kindern ein ausdrückliches Lob für ihre Tapferkeit und Umsicht aus. Dennoch entging Thalia nicht der Anflug von Besorgnis, der bei diesen Worten in Taranas Stimme mitschwang. Offenbar waren die Gefahren noch nicht überstanden.
Plötzlich ließ sich Arlion erneut vernehmen: »Wer ist das?«, fragte er erstaunt und deutete hinter Tarana zum Tor hinaus.
Alle wandten sich um. Dort kam gemessenen Schritts der Krieger auf sie zu, den Thalia beim Ritt zur Festung bereits bemerkt hatte. Er ging leicht nach vorne gebeugt, so als habe er gerade einen schweren Verlust erlitten, und er hielt seinen Kopf eigenartig zur Seite gedreht, sodass ihnen nur die rechte Gesichtshälfte zugewandt war. Draußen, ein paar Hundert Schritt vor dem Tor, konnte man noch immer die reglose Armee der runzeligen Kinder sehen, doch als der Krieger das Tor erreichte, kam vollkommen unerwartet Leben in die riesige Horde kleinwüchsiger Wesen. Wie ein aufgescheuchter Bienenschwarm begannen sie plötzlich alle, in Richtung Berge davonzueilen, und wenige Augenblicke später war von Thalias Standpunkt aus keine Spur der kindlichen Kämpfer mehr auszumachen. Zurück blieb nur ein einsames dunkles Schwert, das mit der Spitze in der Erde steckte.
Thalia wunderte sich allerdings nur einen Moment darüber, denn ihr Hauptaugenmerk lag immer noch auf dem sehr kräftigen, aber auch ein wenig traurig wirkenden Kämpfer, der als Letzter die Festung von Arch Themur betrat. Hinter ihm wurde das provisorische Palisadentor wieder in die Lücke geschoben.
Thalia tastete von Neugier gepackt mit ihrem Geist nach dem fremden Krieger und musste erstaunt feststellen, dass sie rein gar nichts bei ihm wahrnehmen konnte. Seine Gedanken, die sie zuvor klarer als gesprochene Worte vernommen hatte, waren spurlos verschwunden. Noch nicht einmal das kleinste bisschen jenes bruchstückhaften Denkgewirrs, auf das sie bei jedem, den sie bisher getroffen hatte, in unterschiedlich starker Ausprägung gestoßen war, sickerte aus seinem Geist nach außen. Anscheinend konnte er, anders als die Personen, mit denen es Thalia bislang zu tun gehabt hatte, sein Denken vollkommen vor der Außenwelt verschließen.
›Du bist Thalia, nicht wahr?‹, ertönte plötzlich eine durchdringende Stimme in ihrem Kopf. Es war die des dunklen Kriegers. ›Deine Fähigkeiten sind erstaunlich.‹
Vor Schreck entfuhr Thalia ein leiser Schrei. So etwas hatte bislang nur ihr Bruder Arlion vermocht. Sie hatte vermutet, dass eine lautlose Unterhaltung nur zwischen Geistgeschwistern möglich war, aber da hatte sie sich wohl getäuscht. Und woher kannte dieser Unbekannte ihren Namen?
»Du musst nicht erschrecken«, sagte Tarana und streichelte ihr zärtlich die Wange, da sie annahm, dass der Anblick des fremden Mannes Thalia Furcht einflößte. Sie ging neben Thalia und Arlion in die Hocke und sah ihnen abwechselnd fest in die Augen. »Das ist Arton Erenor. Ich hatte lange geglaubt, er sei tot, deshalb habe ich euch so wenig von ihm erzählt, aber, obwohl uns nur wenig gemeinsame Zeit vergönnt war, ist er einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben. Thalia, hast du das Amulett noch, das ich dir gab, als unser Stamm überfallen wurde?«
Thalia nickte und holte die graue Raute an der Silberkette unter ihrem Wams hervor.
»Ich hatte dir damals gesagt, dass ich die Kette von einem Menschen bekommen habe, den ich sehr liebe, kannst du dich erinnern?«
Thalia nickte wieder.
»Arton hat sie mir geschenkt«, fuhr Tarana mit einem glücklichen Lächeln fort. Sie sah den Krieger, der einige Schritt entfernt von ihnen stand, mit seltsam leuchtenden Augen an, wie es Thalia noch
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