Götterschild
verengt worden war. Der Wall schien kaum höher als ein besseres Nomadenzelt zu sein und wirkte in dem schluchtartigen Mauerdurchbruch regelrecht verloren.
Doch dann waren sie auch schon hindurchgaloppiert. Im Inneren der Festung empfing sie eine ausgelassen jubelnde Menschenmenge, die sich zwischen riesigen dunklen Zahnspitzen tummelte, mit der auch die Festungsmauern gespickt waren. Thalia wusste nicht, über was sie sich mehr wundern sollte: Über die unerwartete Heiterkeit der Festungsbesatzung, die Unzahl an überall in den Himmel ragenden, nadelspitzen Riesenzähnen oder einfach nur die Größe dieser eigenartigen Zahnburg. Immerhin hätte es hier genug Weidefläche für zwei oder drei Batraherden gegeben, wäre der Boden nicht nur mit Geröll und dürrem Gestrüpp bedeckt gewesen.
Die Istanoit, die Thalia auf ihrem Pferd mitgenommen hatte, sprang beschwingt aus dem Sattel und hob das Mädchen gleich darauf ebenfalls herab. Thalia sah sich sofort nach ihrem Bruder um. Die ganze Zeit über hatten sie ihren geistigen Kontakt aufrechterhalten, deshalb fiel es ihnen jetzt selbst in dem Gedränge nicht schwer, sich wieder zu finden.
.Toll’, kommentierte ihr Bruder den zurückliegenden Ritt, obgleich Thalia natürlich wusste, wie sehr er sich zwischendurch gefürchtet hatte. Ihr war es schließlich nicht anders ergangen.
Die beiden blieben eng zusammen und sahen sich neugierig um. Die meisten Menschen umringten Targ, Meatril und einen dritten unbekannten Mann, der erst, kurz bevor sie in die Festung geritten waren, zu ihnen gestoßen sein musste. Er saß aufrecht im Sattel, hatte blondes Haar wie Thalia und überragte alle anderen – so schien es zumindest Thalia – um mindestens einen halben Kopf. Auch bei ihm konnte sie eine besondere Ausstrahlung wahrnehmen, ähnlich wie die des düsteren Kriegers von vorhin, allerdings etwas weniger deutlich, dafür auf seltsame Weise angenehmer. Wenn der Geist des dunklen Kriegers zuvor wie ein loderndes Schmiedefeuer gewesen war, hell, heiß und ein wenig furchteinflößend, dann war dieser blonde Reiter im Vergleich dazu wie ein wärmendes Kohlebecken.
Doch obwohl sie diese Beobachtungen höchst faszinierend fand und sich vornahm, den blonden Kämpfer, der von allen als Held gefeiert wurde, noch eingehender zu begutachten, hatte sie den Menschen, wegen dem sie eigentlich hergekommen war, noch nicht entdecken können. Ein wenig verloren ließen sie und Arlion ihre Blicke schweifen, bis sich ihre Aufmerksamkeit schließlich auf das Tor richtete. Wie sie bereits zuvor festgestellt hatte, war der breite Durchgang zwischen den hünenhaften Mauern auf beiden Seiten durch Wälle aus aufeinander gestapelten Steinquadern verengt worden. Von drinnen erkannte sie jetzt, dass durchaus so etwas wie ein Tor existierte, dieses aber eigentlich kaum als solches bezeichnet werden konnte. Es war nämlich nicht durch Scharniere mit den angrenzenden Steinen verbunden, sondern es handelte sich lediglich um eine Palisade, die durch ein massiv hölzernes Gestänge auf einer Plattform befestigt war, welche bei Bedarf noch mit Steinen beschwert werden konnte. Um das Tor öffnen zu können, musste eine ganze Schar kräftiger Männer die Konstruktion zur Seite hieven.
Genau das geschah im Moment, was Thalia verwunderte, denn es hatte eigentlich so ausgesehen, als wären alle Reiter wohlbehalten in der Festung eingetroffen. Aber anscheinend folgten noch einige Nachzügler, für die man den Eingang nun mühsam wieder öffnen musste. Thalia ließ die entstandene Öffnung nicht aus den Augen. Aus irgendeinem Grund war sie plötzlich sehr aufgeregt. Sie hatte das sichere Gefühl, dass es jemand Wichtiges sein würde, der gleich dort erschien.
Doch beim Anblick der ersten Person, die in der Torpassage auftauchte, empfand Thalia nur maßlose Enttäuschung. Es handelte sich um einen alten Mann in einer langen Robe mit kurzem, ergrautem Haar, der dem Mädchen überhaupt nicht bekannt vorkam. Doch im selben Moment spürte sie Arlions Gedanken voller Überschwang durch ihren Kopf kullern: ›Mama kommt!‹
Ihr Bruder hatte es bereits gespürt, bevor etwas zu sehen gewesen war. Denn tatsächlich folgten dem alten Robenträger Daia und Tarana. Die beiden Kinder stießen einen Jubelschrei aus, der alle Umstehenden dazu veranlagte, sich erstaunt nach ihnen umzusehen. Doch das kümmerte die beiden nicht. Sie stürmten auf das offen stehende Tor zu, rannten den betagten Begleiter der beiden Frauen beinahe um
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