Götterschild
›Herr‹.«
Während der Schmied aus einem bereits vorbereiteten Eisenband eine zweite Schelle für Rai formte, standen Rai und Selira die ganze Zeit über schweigend da und vermieden es, einander anzusehen. Nachdem der Sklavenring abgekühlt und mit einem einfachen Scharnier versehen worden war, ritzte Oibrin auch hier ein Datum auf die Innenseite und legte dem jungen Tileter das Metallband um den Hals. Mit einem Hammer trieb er einen kleinen Bolzen durch eine Öse an der Vorderseite, wodurch die Schelle ohne Werkzeug nicht mehr zu öffnen war.
Erst als sich das kratzige Eisen um sein Kehle spannte, begriff Rai wirklich, worauf er sich eingelassen hatte: Er ging freiwillig in die Sklaverei zurück, die er doch auf Andobras so erbittert bekämpft hatte. Ein bisschen verrückt war das schon.
»Ich müsste noch meinen Freunden am Hafen Bescheid geben«, meinte Rai kleinlaut. »Sie sollten wissen, dass ich … ein paar Tage lang Etecrar erkunden werde.« Er lächelte seinen neuen Herrn zaghaft an. »Ich bin auch gleich wieder da.«
»Du kannst gerne versuchen, zum Hafen zu gehen«, erwiderte Oibrin seelenruhig, während er auch Sehras Sklavenschelle endgültig verschloss, »aber dann müsste ich Resa hinter dir herschicken, um dich zurückzuholen, und sie ist manchmal etwas übereifrig.« Seine blauen Augen richteten sich belustigt auf den Tileter. »Wenn sie dich im Vorrüberfliegen aufgreift und dabei ein wenig zu schnell unterwegs ist, dann kann dabei schon mal eine Schulter ausgekugelt werden oder ein Arm abreißen. Ich habe bereits häufiger versucht, sie zu ein wenig Zurückhaltung zu bewegen, aber sie ist einfach dickköpfig.« Oibrin schüttelte betrübt den Kopf. »Also würde ich irgendwelche Ausflüge in nächster Zeit lieber unterlassen, wenn ich du wäre.«
Erschüttert blickte Rai den Kersilonen an. »Ihr scherzt, oder etwa nicht?«
Oibrin trat unmittelbar vor den gut zwei Köpfe kleineren Rai und sah ihm direkt ins Gesicht. »Du musst etwas Grundlegendes begreifen: Alles, was einer von euch tut, gilt vor dem Gesetz Kersilons als meine Tat. Ab jetzt seid ihr mein Besitz, so wie die beiden Schwerter auf meinem Rücken. Wenn ihr losgeht und den Nächstbesten erstecht, würde man nicht euch, sondern mich dafür verantwortlich machen, schließlich käme auch niemand auf die Idee, eine Schwertklinge für einen Mord zu belangen. Deshalb werdet ihr verstehen, dass ich von heute an stets ein wachsames Auge auf euch haben werde, solange ihr meine Bashras seid. Ich werde nicht zulassen, dass mein Besitz zu Schaden kommt, genauso wenig werde ich allerdings gestatten, dass ihr in irgendeiner Weise meine Ehre beschmutzt.« Er streckte Rai die Hand entgegen. »Ah, und weil wir gerade dabei sind: Dein Schwert kannst du natürlich auch nicht behalten. Gib es mir.«
Weit, grau und leer erstreckte sich das Land bis zum Horizont. Von der Höhe des Therimpasses, der tief eingeschnitten zwischen den schwarzen Hängen des Corthadums den Norden der Ostlande mit dem Süden verband, ließ sich bei diesem klaren Wetter bis zum Gaburin blicken, jenem breiten Strom, der sich wie ein endloses silbernes Band durch die Ebene von Skardoskoin zog.
Arton beschirmte sein gesundes Auge mit der Hand, um noch mehr erkennen zu können. Dort unten lag das Land seiner Väter, Skardoskoin, das Reich des Drachenbundes, das er noch nie zuvor betreten hatte. Gerade erst begann sich der Winter langsam in größere Höhen zurückzuziehen, sodass eine Überquerung des Gebirges überhaupt möglich geworden war, aber das Land wirkte noch immer kahl und leblos, gerade erst befreit von seiner kalten Last aus weißem Eis.
Städte oder Dörfer suchte Arton jedoch vergeblich. Skardoskoin war, wie er wohl wusste, in weiten Teilen nur noch dünn besiedelt, weil der große Krieg gegen Citheon mehr als die Hälfte seiner Einwohner gefordert hatte. Unter dem Druck von Steuern, Armut, Hunger und Elend, die die Besetzung durch Citheon mit sich gebracht hatte, waren seither noch viele weitere ihrer Heimat überdrüssig geworden und versuchten ihr Glück nun irgendwo im Süden. Der Eindruck eines verlassenen, öden Landes brannte sich tief in Artons Gedächtnis, als er so von den Höhen des Therimpasses auf Skardoskoin hinabblickte. Dieses Reich hatte bitter bezahlt für die Kriegslust seines einstigen Herrschers, Hador Badach aus dem Hause Ikarion – Artons Vater. Doch vielleicht brach nun eine Zeit der Heilung an, denn Arton würde die Verheerungen,
Weitere Kostenlose Bücher