Götterschild
aufgebracht dazwischen. »Wenn du dir einmal kurz die Mühe machen würdest, mir zuzuhören, bevor du hier mit deinem Schwert den großen Befreier spielst, dann ließe sich diese Situation ganz leicht klären.«
Rai sah ebenso verwundert wie beleidigt aus. »So siehst du das also? Ich ›spiele‹ nur den Befreier?«
»Na ja«, gab Selira zurück, »du hättest mich wenigstens mal fragen können, was los ist, statt hier gleich mit der Waffe herumzufuchteln. Ich habe mich diesem Leibherrn nämlich freiwillig als Sklavin zur Verfügung gestellt.«
»Wie bitte?«, rief Rai verblüfft. »Bist du noch bei Trost?«
Seliras Augen verwandelten sich wieder in jene bedrohlich blitzenden Schlitze, die Rai nur zu bekannt waren. »Jetzt halt mal die Luft an und lass mich erklären«, fauchte sie. »In Etecrar Sklave zu sein, ist nicht dasselbe wie in Andobras. Viele begeben sich hier freiwillig in die Sklaverei, um ein sicheres Auskommen zu haben und Schutz vor Räubern und dergleichen mehr. Als freier Bürger muss man ständig zusehen, wie man über die Runden kommt, als Sklave ist das die Aufgabe des Leibherrn, der nach dem Gesetz verpflichtet ist, sein Gefolge zu ernähren und es gut zu behandeln. Außerdem habe ich gerade herausgefunden, dass es auch die Möglichkeit gibt, ein Sklave auf Zeit zu werden, ein so genannter Bashra.« Sie nahm den eisernen Ring von ihrem Hals, der bisher noch nicht verschlossen worden war. »Siehst du diese Zeichen hier?«, fragte sie Rai schroff und deutete auf ein paar krakelig eingeritzte Symbole auf der Innenseite des Rings.
»Ich kann nicht lesen«, gestand dieser kleinlaut.
»Ich auch nicht«, sagte Selira, »aber an ein paar Zahlen kann ich mich noch erinnern. Hier steht das Datum, an dem er mich wieder freilassen muss. Das ist von heute an genau in zehn Tagen, denn so lange wird es dauern, bis wir mein Dorf erreicht haben. Auf dem Weg dorthin werde ich die Tiere seiner Karawane betreuen oder mich sonst irgendwie nützlich machen. Du siehst also, es ist alles bestens geregelt.«
»Aber wieso musst du denn seine Sklavin werden, damit er dich zu deinem Dorf führt?« Rai wollte sich mit dieser lückenhaften Erklärung noch nicht zufrieden geben. »Würde es da nicht reichen, wenn du dich als eine Art Dienstmagd seinem Handelszug anschließt?«
»Als Sklavin gehört sie zu meinem Besitz«, übernahm der Kersilone das Antworten. »Das Reisen zwischen den Städten Etecrars ist sehr gefährlich. Wir müssen ein Niemandsland durchqueren, in dem es von räuberischen Wüstennomaden und anderem ehrlosen Gesindel wimmelt. Wenn es von denen jemand wagen sollte, meine Besitztümer anzutasten, ohne mich vorher in einem öffentlichen Zweikampf in der Arena besiegt zu haben, dann gebietet es meine Ehre, diesen Besitz mit meinem Leben zu verteidigen.«
Rai sah verwirrt aus. »Und bei einer Magd, die Euch nicht gehört, sondern die gegen Bezahlung für Euch arbeitet, gebietet Euch Eure Ehre nichts? Das finde ich äußerst seltsam.«
Das erste Mal während ihres gesamten Aufeinandertreffens wirkte der Kersilone plötzlich angespannt. »Stellst du etwa meine Ehre infrage?«, wollte er mit einem schneidenden Unterton wissen.
»Rai stellt gar nichts in Frage«, griff Selira beschwichtigend ein. »Und er wollte jetzt sowieso gerade gehen.«
Völlig vor den Kopf gestoßen starrte der Tileter die Xelitin an. Gut, dachte Rai zerknirscht, er war ein weiteres Mal nicht gerade feinfühlig mit seiner Angebeteten umgesprungen, aber nun wollte sie nicht anerkennen, dass er einzig aus Sorge um ihr Wohlbefinden nach ihr gesucht hatte und nur deswegen hier war. Das konnte er nicht auf sich sitzen lassen. Kurz entschlossen wandte er sich an den Schwertträger:
»Braucht Ihr noch einen weiteren Sklaven auf Zeit?«
Der Kersilone grinste breit. »Natürlich. Arbeit gibt es genug bei so einem Zug durch die Wüste.«
»Bist du von allen guten Geistern verlassen?«, rief Selira.
Rai schob trotzig das Kinn nach vorn. »Wenn du schon deinen Willen auf Biegen und Brechen durchsetzen musst, dann darf ich doch wohl das Gleiche tun. Ich wollte außerdem schon immer mal die Wüste von Etecrar kennen lernen.«
Selira war sprachlos. Unterdessen nickte der Kersilone dem Schmied zu. »Mach uns gleich noch eine Sklavenschelle!« Und an seine beiden Neuerwerbungen gewandt fügte er zufrieden hinzu: »Mein Name ist übrigens Sal Oibrin, aber für die nächsten Tage dürft ihr mich ›Leibherr Oibrin‹ nennen oder einfach
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