Götterschild
wenn Nataol es gewöhnlich verstand, seine Gedankengänge vor ihm zu verbergen, waren Artons Fähigkeiten im Lesen der Geistsprache während seiner zurückliegenden Lehrzeit erheblich gewachsen. So leicht ließ er sich von niemandem mehr etwas vormachen.
»Was verschweigt Ihr mir?«, fragte er scharf.
»Nichts, was im Moment von Bedeutung wäre«, antwortete der Priester ausweichend.
»Darüber werde ich urteilen, sobald Ihr es mir mitgeteilt habt«, entgegnete Arton entschieden. »Also?«
Nataol seufzte. »Ich darf es Euch nicht sagen, der Citarim verbietet es. Ich weiß selbst nicht, weshalb, aber ich muss gehorchen. Das versteht Ihr doch sicherlich.« Nataol schickte sich an, zum Schlitten zurückzukehren.
»Nein, das tue ich nicht.« Die Narbe, die schräg über Artons inzwischen zugenähte Augenhöhle verlief, leuchtete trotz der Kälte in einem zornigen Rot, als er den Citdiener am Arm ergriff und ihn zurückhielt. »Hat es etwas mit dem neuen König zu tun? Wer ist es? Etwa Megas? Er ist ebenfalls ein Inselherr wie Techel und käme als Nachfolger infrage. Sagt mir, wer es ist! Ich werde auf der Stelle umkehren und zurück nach Tilet reiten, wenn ich von Euch keine Antwort bekomme.«
Nataol wandte sich dem Krieger wieder zu und musterte ihn mit strenger Miene. »Euer Wunsch nach Rache an diesem Ungläubigen entbehrt jeder Vernunft, das habe ich schon oft genug versucht, Euch verständlich zu machen. Die gerechte Vergeltung aller Taten obliegt allein den Göttern, ein Sterblicher soll sich nicht zum Richter aufschwingen, so er nicht von den Göttern berufen wird. Und Eure Aufgabe ist eine andere, das wisst Ihr sehr wohl. Entledigt Euch also dieser kleinlichen Rachegedanken, sie bringen Euch nur vom Pfad der Vorsehung ab.«
»Ihr weicht mir immer noch aus«, knurrte Arton unbeeindruckt von Nataols tadelnden Worten. »Ist Megas der Nachfolger von Jorig Techel oder nicht? Sprecht!«
»Nein, das ist er nicht«, gab Nataol zurück, »aber es besteht ein Bündnis zwischen dem Citarim und Megas, das den Umsturz in Tilet erst ermöglicht hat.«
Ein dunkler Schatten zog über Artons Gesicht. »Wie kann sich seine Heiligkeit nur mit diesem Abschaum verbünden? Der Citarim spricht immer von der ›Weltenläuterung‹, aber solange ein Verräter und Mörder wie Megas dieselbe Luft atmet wie wir alle, kann ich nicht glauben, dass die Welt wahrhaft gereinigt ist.«
»Seine gerechte Strafe wird ihn nur zu bald ereilen«, versicherte Nataol beschwichtigend. »Da könnt Ihr gewiss sein. Es ist nur eine Frage der Zeit. Nun liegen aber weit dringlichere Aufgaben vor Euch.«
Lange schwieg Arton und rang innerlich mit den Dämonen seiner Erinnerung. Der Wunsch nach Rache an Megas hatte so lange seinen Lebensinhalt ausgemacht – war für ihn Ansporn und Mahnung zugleich gewesen –, dass es ihm nun ungeheuer schwer fiel, davon abzulassen. Aber Arton wusste, dass er einen anderen Weg gehen musste. Er hatte sich schon vor langer Zeit entschieden. Er wollte den Pfad der Götter beschreiten, um unter ihrer Führung etwas wahrhaft Großes zu vollbringen. Somit durfte er sich nicht durch seine selbstsüchtigen Bedürfnisse davon abbringen lassen.
»Ich werde meinen göttlichen Auftrag nicht vergessen«, erklärte er schließlich, »aber sobald ich meine Pflicht getan habe, wird nichts und niemand mich davon abbringen können, Megas zur Rechenschaft zu ziehen. Das schulde ich allein schon Ta …« Er stockte, denn das Aussprechen des Namens seiner ehemaligen Geliebten bereitete ihm immer noch seelische Qualen. So lange war sie nun schon fort, dass ihr Gesicht bereits in seiner Erinnerung zu verblassen drohte. Aus Angst davor versuchte er, sich beinahe jeden Tag Taranas Antlitz bewusst ins Gedächtnis zu rufen, doch von Mal zu Mal erwies es sich als ein wenig schwieriger. Die Zeit schien Artons Wunden nicht zu heilen, sondern im Gegenteil nur noch tiefer zu machen, indem sie ihn mit dem allseits lauernden Vergessen quälte.
»… das schulde ich all jenen, die durch ihn zu Schaden gekommen sind«, vollendete er seinen Satz.
»Das will ich nicht bestreiten«, lenkte Nataol ein.
»Und wer ist nun der neue König von Citheon?« Artons einzelnes Auge schien den Kirchenmann förmlich festzunageln.
»Ich kann es Euch nicht sagen«, wiederholte Nataol voller Unbehagen, »bitte versteht das. Ich habe dem Citarim geschworen, darüber Schweigen zu bewahren.«
»Dann sagt es mir nicht mit Eurem Mund, sondern lasst es mich in Eurem
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