Götterschild
selbst wieder auf die Füße zu kommen. Er befand sich in einer ausweglosen Situation.
»Es wird schon irgendwie weitergehen«, bemerkte Rai mitfühlend. Die gedrückte Stimmung schlug ihm mittlerweile selbst aufs Gemüt.
»Ja, sicher«, erwiderte Oibrin und nickte langsam. »Wenn ich Glück habe, dann nimmt mich der Weber, dem ich die Tuchbahnen schulde, als Sklave auf. Aber was dann aus meinen eigenen Sklaven werden soll, kann ich beim besten Willen nicht sagen.« Niedergeschlagen senkte er den Kopf und wich damit den betroffenen Blicken von Chariuk und dessen Gefährten aus.
»Kannst du dir denn nirgends Geld leihen?«, wollte Rai wissen, der einfach nicht glauben konnte, dass es wirklich so schlecht stand. »Hast du keine Freunde in Kersilon?«
Sal Oibrin stieß ein abgehacktes Lachen aus. »Niemand, den ich kenne, könnte mir so viel Geld borgen. Es handelte sich immerhin um mehr als hundert Bahnen Seide. Diese Menge Geld hat man nicht eben mal so unter dem Kopfkissen liegen.« Er seufzte. »Du hast schon genug für uns getan, du musst dir nicht auch noch meinen Kopf zerbrechen. Sag mir lieber, was ihr beide jetzt vorhabt.«
Rai kratzte sich hinter dem Ohr und sah zu Selira hinüber. »Nun ja«, meinte er zögernd, »wir werden wohl mal am Hafen nachschauen, für den unwahrscheinlichen Fall, dass unsere Freunde dort auf uns gewartet haben. Immerhin bin ich einfach verschwunden, ohne ihnen etwas zu sagen, und inzwischen sind ganze fünfundzwanzig Tage vergangen, wenn ich mich nicht verzählt habe. Ich an ihrer Stelle wäre längst weitergefahren.«
»Das glaube ich nicht«, meldete sich Chariuk unvermittelt zu Wort, der bislang nur stumm zugehört hatte. »Uns hast du nicht im Stich gelassen, dabei kennen wir uns noch gar nicht lang. Wenn deine Freunde ein bisschen sind wie du, dann haben sie gewartet.« Er nickte ein paar Mal voller Überzeugung.
Beeindruckt von dem unerwarteten Kompliment des ansonsten eher ruppigen Schweineführers wusste Rai nicht, was er erwidern sollte.
»Chariuk hat schon recht«, bestätigte Sal Oibrin. »Das war wirklich etwas Besonderes, dass du uns aus diesem Gefängnis geholt hast. Wer weiß, wie lange wir da noch gesessen hätten und was letztendlich mit uns geschehen wäre.«
»Selira hat auch mitgeholfen«, erklärte Rai, hauptsächlich um seine Verlegenheit zu überspielen. »Und Resa hat von uns allen vermutlich am meisten arbeiten müssen, das wollen wir nicht vergessen.«
»Natürlich«, lachte Oibrin, »ohne meine treue Resa wäre alle Mühe umsonst gewesen.« Sogleich schmolz seine Fröhlichkeit wieder dahin. »Wenn ich wieder ein Sklave bin und meine Privilegien als Leibherr aufgeben muss, werde ich sie nicht behalten können. Ich weiß nicht, wie ich mich jemals von ihr trennen soll.« Traurig sah er zu seiner Flugwölfin hinüber, die auf einem der nahen Hausdächer Platz genommen hatte. »Ich ziehe schon mein halbes Leben mit ihr umher.« Er räusperte sich, so als versuche er, nicht zu viele Gefühle an die Oberfläche dringen zu lassen. »Aber wie gesagt, das soll nicht eure Sorge sein. Und selbstverständlich gebührt auch deiner Freundin Selira unser Dank für ihre Hilfe. Ich würde vorschlagen, ihr geht jetzt zum Hafen, und wenn ihr eure Freunde nicht finden könnt, dann kommt ihr einfach wieder zurück und wir beratschlagen zusammen, wie es weitergeht.« Er grinste schelmisch. »Vielleicht gründen wir einfach unsere eigene Räuberbande. Ich wäre nicht der erste verarmte Leibherr, der sich notgedrungen zu solch einem wenig ehrenhaften Broterwerb herablässt.«
»Na, ich hoffe, so weit wird es nicht kommen«, entgegnete Rai. »Wir werden euch jetzt verlassen, aber wir sehen uns auf jeden Fall später noch.«
Rai und Selira verabschiedeten sich und schlugen den Weg in Richtung Hafen ein.
»Du hast vorhin kaum etwas gesagt«, begann Rai besorgt, als sie außer Hörweite waren. »Ist etwas? Hab ich dich verärgert?«
Selira hob überrascht den Kopf. »Nein, womit solltest du mich verärgert haben?«
»Ich weiß es nicht, aber das heißt ja nicht viel«, gestand Rai. »Es ist schon so oft vorgekommen, dass ich dich unabsichtlich wütend gemacht habe.«
»Willst du damit sagen, ich bin schwierig?«, fragte Selira spitz.
»Nein!«, rief Rai sofort, »auf keinen Fall. Ich …«
»Schon gut, Rai«, meinte sie lachend, »ich wollte dich nur ein wenig aufziehen. Ich weiß ja, dass ich es dir nicht immer ganz einfach gemacht habe. Aber irgendwie hatte ich die
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