Goettersterben
Mächtiges sprang Andrej mit der erbarmungslosen Gewalt eines Raubtieres an, krallte unsichtbare Fänge in seinen Geist und begann das Leben aus ihm herauszureißen. Es ging zu schnell, viel zu schnell und zu unerwartet, es war zu fremd , als dass ihm auch nur die Spur einer Chance geblieben wäre, den Angriff abzublocken oder gar seinerseits zurückzuschlagen. Verblüfft taumelte Andrej gegen die Wand, die seinen Sturz auffing, und hätte um ein Haar Gunjir fallenlassen.
Als der winzige Moment hilflosen Staunens vorüber war, war es zu spät. Die weiß glühende Klaue grub sich tiefer in sein Bewusstsein, fegte seinen Widerstand mühelos beiseite und riss weiter das Leben aus ihm heraus; so schnell, so erbarmungslos, dass er dem nichts entgegenzusetzen hatte.
Andrej wusste, was nun geschah. Er selbst hatte diesen mentalen Angriff unzählige Male ausgeführt (das letzte Mal vor wenigen Stunden) und nahezu ebenso oft abgewehrt. Doch jetzt war da nichts, das er packen konnte, keine wirkliche Kraft, gegen die er sich stemmen oder die er womöglich gegen sich selbst wenden konnte – nur eine unverstellbar starke, körperlose Hand, die seine Abwehr mit Leichtigkeit unterlief und nach seiner Lebensflamme griff, nicht um sie auszulöschen, sondern um ihr ihre Kraft zu entreißen und zu ihrer eigenen zu machen.
»War es das, was dir vorgeschwebt hat, mein Freund?«, fragte der Vampyr lächelnd. »Wer bin ich schon, dem mächtigen Andrej Delãny einen Wunsch abzuschlagen?« Sein Lächeln wurde spöttisch und begann dann vor Andrejs Augen zu zerfließen, als sich sein Blick trübte. Er war so schwach. Alle Kraft wich aus ihm. Jeder einzelne Herzschlag schien ihn mehr Mühe zu kosten als der davor, und plötzlich war ihm entsetzlich kalt. Selbst das Atmen war unverstellbar anstrengend. Alles begann sich um ihn zu drehen. Das Leben strömte schneller aus ihm heraus als Wasser aus einem durchschnittenen Schlauch, aber es verschwand nicht einfach. Da war etwas, das es aufsaugte und verschlang und zu einem Teil von etwas anderem und unendlich Bösem und Niederträchtigem machte. Was auf ihn wartete, das war nicht der Tod, sondern ewige Gefangenschaft in einem Kerker, der schlimmer war als die Hölle. Und es gab nichts, was er dagegen tun konnte.
Dann war es vorbei. Die unsichtbare Kralle war verschwunden, und Andrej registrierte ein flüchtiges Aufflackern von Überraschung, Schmerz und Zorn am Rande seines Bewusstseins. Rote Pein loderte wie eine Flamme in ihm hoch und nahm die Stelle der Schwäche ein, die ihn gerade noch ausgezehrt hatte, und Andrej spürte, wie er endgültig in die Knie zu brechen begann, als hätte die unsichtbare Hand ihm nicht nur das Leben entrissen, sondern ihn zugleich auch aufrecht gehalten. Vielleicht hätte er das Bewusstsein verloren. Vielleicht wäre er gestorben und hätte diesen Tod freudig begrüßt, wäre er doch die Alternative zu dem viel schlimmeren Schicksal, das er in den Augen des Vampyrs gelesen hatte, wäre da nicht plötzlich eine Bewegung ganz am Rande des rasch kleiner werdenden Ausschnittes der Welt gewesen, den er noch wahrzunehmen imstande war. Jemand schrie. Er roch Blut, und da war plötzlich ein winziger Funke von Trotz in ihm, der ihn zwang, noch einmal den Kopf zu heben und die blutigen Schleier vor seinen Augen wegzublinzeln.
Der Vampyr stand immer noch vor ihm, jetzt aber in seltsam gekrümmter Haltung. Die linke Hand hatte er auf den Oberschenkel gepresst. Zwischen seinen Fingern quoll hellrotes Blut hervor; und die Spitze des schmalen Dolches, den Bresto ihm schräg von unten in den Oberschenkel gerammt hatte.
Jeden normalen Mann hätte der Stich auf der Stelle kampfunfähig gemacht und nach wenigen Minuten getötet, wenn die Wunde nicht von einem guten Arzt versorgt worden wäre.
Zu Brestos Pech war sein Gegner kein normaler Mann. Den Schmerz spürte er wie jeder andere, aber er schürte nur noch seine Wut. In der gleichen Bewegung, in der er herumfuhr und ungeschickt hinter sich griff, um das Messer aus seinem Bein zu reißen, schlug er Rodriguez’ Adjutanten den Handrücken mit solcher Wucht ins Gesicht, dass Brestos Hinterkopf gegen die Wand knallte und er auf der Stelle das Bewusstsein verlor. Das alles dauerte weniger als eine Sekunde.
Es war genau die Zeit, die Andrej brauchte.
Der Vampyr schenkte ihm noch einen weiteren winzigen Moment, als er dem unglückseligen Lieutenant einen kräftigen Tritt in den Leib versetzte, der ihm zwei oder drei Rippen brach, und
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