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Goettersterben

Titel: Goettersterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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dann war da plötzlich noch eine andere, bekannte Präsenz, und Andrej rannte los. Gordon rief ihm etwas nach, das er schon nicht mehr verstand, und Andrej legte noch einmal an Tempo zu und stürmte blindlings durch eine halb eingestürzte Tür. Der Raum dahinter hatte keine Decke mehr, lag dafür aber mit Trümmern und Schutt so voll, dass selbst ihm das Durchkommen schwerfiel. Gordon und sein Begleiter schienen mehr mit den Hindernissen zu kämpfen. Andrej verschwendete keinen Blick hinter sich, aber aus dem Geräusch ihrer hastigen Schritte wurden zuerst Flüche und dann ein Poltern und Scheppern und ein Durcheinander aus herzhaften Verwünschungen und Unflätigkeiten. Andrej war es nur recht. Statt auf die beiden zu warten, duckte er sich unter einem verrotteten Türrahmen hindurch, den schon seit vielen Jahren keine Mauern mehr umstanden, und wäre um ein Haar die dahinterliegende Treppe hinabgestürzt, die unter einem halb unter Schutt verborgenen Loch im Boden lag. Mit mehr Glück als Geschick fing er seinen Sturz im letzten Moment ab und nutzte den Schwung, um das Dutzend Stufen mit drei gewaltigen Sätzen zu überwinden und mit leicht gespreizten Beinen und kampfbereit geduckt zum Stehen zu kommen.
Das Einzige, das ihn ansprang, waren die Schatten. Der Raum war leer bis auf den Schutt und den Unrat von Generationen, aber es gab einen halbrunden Durchgang auf der anderen Seite, hinter dem das unstete Licht einer Öllampe flackerte. Blanke Todesangst wehte wie ein verlockend süßer Duft heran, und er hörte Geräusche; ein Scheppern und Scharren, leises Lachen und etwas, das sich wie ein unterdrücktes Schluchzen anhörte. Der Vampyr war dort drinnen.
Andrej durchquerte den Raum mit zwei gewaltigen Sätzen, rief sich im letzten Moment in Gedanken zurück und bewegte sich auf dem letzten Stück wieder vorsichtiger.
Immerhin wusste er jetzt, woher das Gefühl gekommen war, sich keinem Fremden zu nähern. Es war (natürlich) nicht Abu Dun, aber es war auch nicht Rodriguez; obwohl die Gestalt eine blaue Marineuniform mit blitzenden Schulterstücken trug. Aber der Mann hatte kein weißes, sondern kurz geschnittenes, dunkles Haar und war jung genug, um Rodriguez’ Sohn sein zu können. Er hockte mit eng an den Leib gezogenen Knien in einer Ecke, hatte schützend die Arme über den Kopf erhoben und trat und schlug manchmal ungeschickt nach einer zweiten, deutlich größeren Gestalt, die ebenfalls eine Marineuniform und schulterlanges, schwarzes Haar trug. Die Muskete, die der Mann vorhin noch in den Händen gehabt hatte, lag jetzt auf dem Boden. Auf der Spitze des dreieckig geschliffenen Bajonetts glänzte frisches Blut, genau wie auf der Klinge des Säbels, mit dem der Kerl lachend nach seinem wimmernden Opfer stocherte; allerdings nicht mit der Absicht, ihn zu töten oder auch nur schwer zu verletzen.
Zumindest noch nicht.
»Warum suchst du dir nicht einen gleichwertigen Partner, mit dem du spielen kannst?«, fragte Andrej. Bresto hob mit einem Ruck den Kopf und starrte ihn aus weit aufgerissenen, dunklen Augen an, in denen Tränen schimmerten, und der Vampyr fuhr nicht nur übertrieben erschrocken herum, sondern spielte auch – fast – perfekt den Überraschten.
»Lass den Unsinn«, sagte Andrej. »Ich weiß, was du bist. Und du, was ich bin.«
»Lebensmüde?«, erkundigte sich der Vampyr. Andrej schüttelte seufzend den Kopf. Ihm war nicht nach Spielchen – schon gar nicht mit diesem Kerl –, aber er nutzte die Gelegenheit, sein Gegenüber ein wenig genauer in Augenschein zu nehmen. Der Bursche war fast so groß wie er und erschien seltsam alterslos, wie man es oft bei wirklich alten Geschöpfen seiner Art antraf. Das lange, noch sehr dichte Haar und seine geschmeidige Art, sich zu bewegen, verliehen ihm zusammen mit der zerschlissenen blauen Uniform etwas Jungenhaftes, und wäre nicht das blutige Schwert in seiner Hand und das grausame Funkeln tief in seinen Augen gewesen, wäre vielleicht sogar Andrej auf sein Lächeln und den Ausdruck von gespielter Verständnislosigkeit hereingefallen, der noch immer auf seinem Gesicht lag. »Señor?«, fragte er.
»Lass den Unsinn!«, fauchte Andrej. »Wenn du jemanden zum Spielen suchst, dann nimm mich!« »Wenn es dein Wunsch ist, Andrej«, antwortete der Vampyr und griff an, warnungslos, blitzschnell und auf vollkommen andere Art, als Andrej erwartete. Das Schwert in seiner Hand bewegte sich nicht einen Millimeter, aber etwas Dunkles, Körperloses und unvorstellbar

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