Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Goettersterben

Titel: Goettersterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
konzentrierte sich weiter auf den massigen Umriss des verfallenen Turms. Er war nicht so hoch, wie es im ersten Moment den Anschein gehabt hatte, und die Zeit hatte ihren Tribut von den trutzigen Mauern gefordert. Selbst einem weit weniger geschickten Kletterer als ihm wäre es wohl nicht allzu schwergefallen, an den zerbröckelnden Wänden hinaufzuklettern. Aber ihm war nicht wohl dabei. Den Turm umgab etwas, das ihm Angst machte.
»Wollt Ihr es Euch nicht doch noch einmal überlegen, Andrej?«, fragte Gordon. Die Sorge in seiner Stimme klang echt.
Er musste sich nicht entscheiden. Gordons Begleiter sog plötzlich scharf die Luft ein und deutete nach vorne. Ein halbes Dutzend Soldaten rannte in scharfem Tempo quer über den Platz und verschwand in einer der schmalen Gassen, und aus der anderen Richtung näherte sich eine zweite, nicht minder große und aufgeregte Gruppe. »Euer Freund?«, flüsterte Gordon, obwohl es jetzt ganz und gar nicht mehr nötig schien, sich leise zu verhalten. Andrej hob nur die Schultern, obwohl er die Antwort wusste. Nein. Es war nicht Abu Dun. Er wäre kaum so närrisch gewesen, sich in unmittelbarer Nähe der Festung zu verstecken, und ganz gewiss nicht so ungeschickt, sich erwischen zu lassen. Außerdem hätte er seine Nähe gespürt.
Aber etwas ging dort vor.
»Wartet hier«, murmelte er.
Selbstverständlich warteten Gordon und sein Begleiter nicht auf ihn, sondern setzten sich so schnell in Bewegung, dass Andrej Gordon einen unsanften Stups versetzen musste, damit er nicht sogar vorauslief – und den Soldaten geradewegs in die Arme gerannt wäre. Gordon bedankte sich mit einem wütenden Blick, indem jedoch auch ein amüsiertes Funkeln lag. Andrej wurde immer weniger schlau aus diesem Burschen. Gordon war alles andere als dumm und musste wissen, dass ihr Leben auf dem Spiel stand. Trotzdem schien er die Situation vor allem als ein großes Abenteuer zu betrachten. Konnte es sein, dass …?
Andrej lauschte einen Moment lang so konzentriert in ihn hinein, wie er nur konnte, und er entdeckte durchaus das eine oder andere, das ihn überraschte (und noch mehr, das ihm nicht gefiel). Aber Gordon war ein ganz normaler Mensch.
Nun ja. Ein Mensch.
Sie umgingen den Platz und die meisten Soldaten in respektvollem Abstand, wodurch sie zwar noch einmal wertvolle Zeit verloren, das andere Ende der schmalen Gasse, in die die Soldaten so aufgeregt gestürmt waren, aber auch unentdeckt erreichten. Diese aber war leer. Die Männer waren längst weitergezogen, aber es fiel Andrej nicht schwer, ihre Spur aufzunehmen. Furcht und Wut hingen wie greifbar in der Luft. Die Fährte führte nach links, über einen weiteren, wenngleich deutlich kleineren Platz und verschwand in einem Labyrinth aus Schatten und Ruinen. Ganz leise waren aufgeregte Stimmen zu vernehmen, wenn auch wohl nur für ihn.
Er bedeutete Gordon mit einer Geste, von der er genau wusste, dass sie unbeachtet bleiben würde, zurückzubleiben, huschte geduckt und lautlos los und zog gleichzeitig sein Schwert. Immerhin waren Gordon und sein Begleiter leiser, als er befürchtet hatte.
Nach ein paar Schritten hielt er inne und lauschte. Die aufgeregten Stimmen waren jetzt lauter geworden und auch für Gordon und seinen Begleiter zu hören. Unverzüglich wollte sich der Galeerenkapitän in die entsprechende Richtung wenden, aber Andrej schüttelte nur den Kopf und wies nach rechts. Dort waren nur Schatten zu sehen und rein gar nichts zu hören. Aber etwas war dort. Er spürte Furcht.
Missmutig aber klaglos folgte Gordon ihm, und als Andrej ihm diesmal bedeutete, ein paar Schritte zurückzubleiben, gehorchte er sogar. Andrej hätte auch nichts anderes akzeptiert.
Der nur für ihn wahrnehmbare Geruch der Furcht wurde deutlicher, als er weiterging. Jemand war hier. Nicht Abu Dun, aber auch kein gänzlich Fremder. Er konnte nicht genau sagen, wer es war, hatte aber zugleich auch das sichere Gefühl, ihn kennen zu müssen.
Auch Gordon schien verwirrt. Nach ein paar Schritten hielt er ungeduldig inne. »Wenn Ihr meine Unwissenheit verzeiht, Señor Delãny«, sagte er. »Aber … wohin gehen wir eigentlich?«
Er klang jetzt ein bisschen wie Abu Dun, fand Andrej. Und er überlegte auch einen Moment lang, ihm eine Kopfnuss à la Abu Dun zu versetzen, um den Kerl endlich zum Schweigen zu bringen. Doch zu Gordons Glück kam er nicht mehr dazu.
Das Gefühl von Furcht, das er irgendwo in der Dunkelheit vor sich gespürt hatte, explodierte zu reiner Panik, und

Weitere Kostenlose Bücher