Goettersterben
Blick wanderte von dem Geldstück zu Abu Dun und dann wieder zurück, und Andrej konnte ihm ansehen, dass seine Empörung für einen ganz kurzen Moment tatsächlich größer war als seine Furcht. Gottlob nicht lang genug, ihn etwas wirklich Dummes sagen oder gar tun zu lassen, und bevor er es sich am Ende doch noch anders überlegen konnte, drehte Andrej sich rasch um und verließ die Hütte. Abu Dun folgte ihm, aber erst nach einem Augenblick, und nachdem er noch ein paar Worte zu Pedro gesagt hatte, die Andrej geflissentlich überhörte.
»Sei nicht so streng mit ihm«, sagte er, als Abu Dun sich zu ihm gesellte. »Es war nicht seine Schuld. Ich glaube ihm.«
Abu Dun machte keinen Hehl daraus, dass er anderer Meinung war, ging jedoch mit keinem Wort auf seine Bemerkung ein, sondern deutete stattdessen zur EL CID hinüber. »Gehen wir und wechseln ein paar kameradschaftliche Worte mit diesem Maat?«
Andrejs Blick tastete über die Reling des gewaltigen Schlachtschiffes. Das Deck lag so hoch, dass er nicht erkennen konnte, was darauf geschah, aber er sah immerhin, dass sich die Gruppe um Don Alberto de Castello noch auf dem erhöhten Achterdeck befand. Etwas störte ihn am Anblick des herausgeputzten Adeligen und zukünftigen Kommandanten, noch mehr als vorhin sogar, aber er konnte nicht sagen, was. Vielleicht war es einfach nur seine angeborene Abneigung gegen den Adel im Allgemeinen und herausgeputzte Gecken im Besonderen.
»Nein«, antwortete er schließlich. »Jetzt nicht. Warten wir bis heute Abend. Wir schnappen ihn uns, sobald er von Bord geht.«
»Und wenn er auf dem Schiff übernachtet?«
»Das wird er nicht«, behauptete Andrej. »Dieses Schiff sticht in ein paar Tagen in See, und das womöglich für Monate. Wenn du an seiner Stelle wärst, würdest du dann nicht auch jeden Moment ausnutzen, den du noch festen Boden unter den Füßen hast?«
»Wenn ich an seiner Stelle wäre, Hexenmeister«, antwortete Abu Dun ernst, »dann wärst du jetzt tot.«
Abu Dun sollte recht behalten, was den Maat anging. Die geschäftige Aktivität hielt bis lange nach Sonnenuntergang an, und selbst dann wurde es weder dunkel noch still. Zahllose Fackeln, Lampen und glühende Kohlebecken sorgten für fast taghelle Beleuchtung, und die Anzahl der Arbeiter nahm so wenig ab, wie die Lautstärke der hin und her gebrüllten Befehle, Flüche und Kommandos. Erst gut zwei Stunden nach Dunkelwerden ließ das nervöse Treiben ein wenig nach, und es verging noch einmal beinahe eine weitere Stunde, bis es auch an Bord der EL CID ruhiger wurde. Die meisten Lichter hinter den offen stehenden Geschützpforten und Luken erloschen, und nur kurze Zeit darauf ging eine ganze Kolonne von Männern von Bord, alle sichtlich erschöpft und von einem halben Dutzend Soldaten begleitet, die bald darauf kehrtmachten und wieder auf das Schiff zurückgingen, nachdem der letzte Mann von Bord geschlurft war.
Der Maat war nicht bei ihnen gewesen, und nachdem jeder von ihnen ein gutes halbes Dutzend Ausreden erfunden hatte, nicht noch einmal an Bord der EL CID zu gehen und nach dem Maat zu suchen, kehrten sie auf dem schnellsten Weg in den Goldenen Eber und ihr feudales Quartier hinter dem Pferdestall zurück. Zu Andrejs eigener Überraschung fiel er sofort in einen tiefen, erschöpften Schlaf, aus dem er, wenn auch mit der Erinnerung an einen üblen Traum und klopfendem Herzen, aber doch pünktlich, mit dem ersten Sonnenstrahl und so ausgeruht und frisch wie schon seit Tagen nicht mehr erwachte. Der schlechte Geschmack war von seiner Zunge verschwunden, und selbst sein Auge schmerzte nicht mehr. Immerhin etwas.
Abu Dun rumorte irgendwo draußen im Stall – Andrej konnte seine Nähe spüren, und nach einem weiteren Moment hörte er auch seine Stimme, auch wenn er nicht verstand, was der Freund sagte; wahrscheinlich sprach er mit den Pferden, was er oft tat. Andrej setzte sich auf, um sich erst einmal ausgiebig zu recken. Dann jedoch merkte er, dass ihm kalt war. Seine Hosen und sein Hemd waren klamm und in seinen Stiefeln stand das Wasser. Andrej blinzelte überrascht an sich herab und versuchte sich zu erinnern. Er hatte keine Ahnung, wie das hatte geschehen können, während er schlief. Er stand auf, reckte sich noch einmal ausgiebig und machte sich dann auf die Suche nach Abu Dun.
Ganz wie er erwartet hatte, fand er den Nubier in scheinbar vertrautem Zwiegespräch mit dem weißen Lipizzanerhengst, den er jetzt seit drei Jahren ritt. Er musste ihn gehört
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