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Goettersterben

Titel: Goettersterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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der Schiffe am Kai zu werfen. Abu Dun prallte im letzten Moment zurück und zog Andrej nicht nur mit sich, sondern legte ihm auch kurzerhand eine seiner gewaltigen Pranken auf den Mund, während er ihn in den Schutz des nächstbesten Schattens zerrte. Bevor Abu Dun ihn endlich losließ, wäre Andrej nahezu erstickt, auch wenn er tatsächlich keinen verräterischen Laut von sich gegeben hatte.
»Danke«, stieß er hervor, nachdem er wieder halbwegs zu Atem gekommen war. Gleichzeitig gab er sich alle Mühe, Abu Dun mit Blicken zu durchbohren - was der Nubier natürlich ebenso ignorierte wie seinen sarkastischen Tonfall.
»Wofür?«
»Dass du mich nicht erstickt hast.«
»Soviel ich weiß, ist das gar nicht möglich«, antwortete Abu Dun ernst. »Jedenfalls nicht auf Dauer.«
Andrej bedachte Abu Dun mit einem wütenden Blick und wartete vergeblich auf ein Grinsen oder wenigstens die Andeutung eines Lächelns. Er bekam weder das eine noch das andere. Abu Duns Augen blieben so kalt und hart wie schwarzes Glas.
Auch der Hafen wimmelte von Soldaten. In Kompaniestärke waren sie aufmarschiert und hatten in Reih und Glied am Kai Aufstellung genommen. So standen sie in zwei Reihen, die einen Abstand von gut fünf Metern zueinander hielten und eine Art lebende (und bis an die Zähne bewaffnete) Gasse bildeten, in der sich eine schier endlos scheinende Doppelreihe von Männern bewegte. Die meisten waren abgerissen und gingen gebeugt wie unter einer unsichtbaren Last. Etliche waren verwundet und trugen schmutzige Verbände, und Andrej erblickte auch mehr als einen Mann, der kaum noch aus eigener Kraft gehen konnte und von seinen Kameraden gestützt werden musste. Außerdem waren die Männer aneinandergekettet.
»Sklaven?«, murmelte Abu Dun.
Andrej überlegte einen Moment, bevor er den Kopf schüttelte. Wenn Abu Dun Menschen in Ketten sah, dann dachte er immer und sofort an Sklaven. Andrej hatte nie herausgefunden, ob das an seiner Vergangenheit als Sklave oder der als Sklavenhändler lag. Und in diesem speziellen Fall irrte er sich; auch wenn der Unterschied vermutlich nicht einmal besonders groß war. »Kriegsgefangene«, sagte er. »Briten, nehme ich an.« Mit ausgestreckter Hand deutete er auf die Kette der erschöpften Männer bis zu der schmalen Planke, die zum Achterdeck eines wuchtigen Kriegsschiffes hinaufführte. Der Dreimaster hatte direkt neben der EL CID angelegt und wirkte neben dem gigantischen Schlachtschiff ebenso winzig wie erbärmlich, obwohl es sich in Wahrheit auch bei ihm um eine Ehrfurcht gebietende Kriegsmaschine handelte; ein Koloss mit einer Doppelreihe Kanonen auf jeder Seite und einem gedrungenen Rumpf, der schon durch seine bloße Bauweise einschüchterte.
Doch jetzt hing der größte Teil der Takelage in Fetzen, war brandgeschwärzt oder gleich ganz verschwunden, und zumindest einem der Masten sah man an, dass er nur notdürftig geflickt war und schon der nächsten steifen Brise wohl nicht mehr standhalten würde, von einer Sturmböe gar nicht zu reden. Gut die Hälfte der Geschützpforten war leer und glich ausgebrannten schwarzen Augenhöhlen, und der Rumpf war an zahllosen Stellen geflickt, und das zumeist auch nur notdürftig. Das Schiff sah aus, als käme es direkt aus der Hölle. Was der Wahrheit vermutlich ziemlich nahe kam, dachte Andrej.
»Bullseye«, las Abu Dun den Namen vor, der in brandgeschwärzten goldenen Lettern am Heck des Schiffes angebracht war. »Ein seltsamer Name für ein Schiff.«
»Ein englischer Name«, antwortete Andrej. »Die Engländer sind seltsame Leute.« Er wurde wieder ernst. »Sie müssen das Schiff erbeutet haben. Ganz so unbesiegbar scheint die britische Flotte wohl doch nicht zu sein.«
»Dann ist das da die Besatzung?«, vermutete Abu Dun. Er schürzte die Lippen. »Arme Schweine.«
»Nein«, antwortete Andrej, schüttelte den Kopf und verbesserte sich: »Ich meine: Ja, es sind zweifellos arme Schweine, aber kaum die Besatzung dieses Schiffes. Jedenfalls nicht nur.«
Abu Dun runzelte zwar demonstrativ die Stirn, sah aber dann noch einmal hin und bekundete dann mit einem angedeuteten Nicken, dass er wohl zu demselben Schluss gekommen war.
Die Bullseye war groß und hatte sicherlich eine Besatzung von zwei-, wenn nicht dreihundert Mann, aber die schier endlose Reihe von Gefangenen, die sich von Bord des Schiffes und über den Pier schleppte, zählte mindestens doppelt so viele Köpfe. Darüber hinaus sah die Bullseye nicht so aus, als hätte ein nennenswerter

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