Goettersterben
Wunde einfach nicht mit der gewohnten Schnelligkeit hatte heilen wollen, war sie quasi über Nacht verschwunden.
Andrej blieb etliche Minuten reglos auf den Knien sitzen, starrte sein eigenes Spiegelbild an und versuchte eine Erklärung sowohl für diese sonderbare Spontanheilung als auch für die noch viel sonderbarere Unruhe zu finden, die sich in ihm ausbreitete. Er sollte erleichtert sein, dass seine Kräfte endlich zurückgekehrt waren, aber neben der Erleichterung fühlte er auch Beklemmung … als hätte er etwas Schlechtes gegessen, um wieder zu Kräften zu kommen, und diese Kraft auch bekommen, sich im Gegenzug aber vergiftet.
Andrej schüttelte diesen unsinnigen Gedanken ab, stand mit einem Ruck auf und ging in den Stall zurück. Mit einer viel zu heftigen Bewegung bückte er sich nach seinem Mantel, warf ihn sich um die Schultern und stellte fest, dass er ebenfalls feucht war.
Als er sich erneut nach seinem Schwert bücken wollte, kam ihm Abu Dun zuvor, hob den zusammengerollten Waffengurt mit der schmucklosen Lederscheide auf und trat einen halben Schritt zurück; aber nicht um ihm die Mühe abzunehmen, wie Andrej verwirrt begriff. »Was soll das?«, fragte er scharf.
»Wo warst du heute Nacht?«
»Heute Nacht?« Andrej verstand nicht, wovon Abu Dun überhaupt sprach.
»Ich bin nach Mitternacht wach geworden«, sagte Abu Dun. »Du warst nicht da.«
»Unsinn!«, antwortete Andrej. »Ich habe geschlafen wie ein Stein!«
Abu Dun widersprach ihm nicht, sah ihn aber lange und sehr durchdringend an, und das auf eine Art, die Andrej mit jedem Moment als unangenehmer empfand. Er kannte diesen Blick. So mancher, dem dieser Blick gegolten hatte, hatte nicht mehr lange genug gelebt, um zu begreifen, was er bedeutete. Vielleicht war es besser, wenn er …
Was?, dachte er erschrocken. Abu Dun umbrachte, solange er es noch konnte?
Beinahe entsetzt schob er den Gedanken beiseite und streckte die Hand nach seinem Schwert aus, und Abu Dun zögerte noch einen einzelnen, endlosen Augenblick. Aber dann schnaubte er nur enttäuschte und reichte ihm Gunjir.
»Was sollte das bedeuten?«, fragte Andrej übellaunig, während er seinen nassen Mantel zurückschlug und sich den Waffengurt umband. Das vertraute Gewicht des Götterschwertes an seiner Seite verlieh ihm ein trügerisches Gefühl von Sicherheit, und eine lautlos lockende Stimme tief am Grunde seiner Seele versicherte ihm, dass es nichts und niemanden auf dieser Welt gab, das ihn aufhalten konnte, niemanden, dem er Rechenschaft schuldig war.
Andrej atmete hörbar ein und sagte noch einmal: »Du musst dich täuschen. Wahrscheinlich hast du nur schlecht geträumt. Ich war nicht weg.«
Abu Dun schwieg.
D
ie Stadt kam ihm noch überfüllter und schmutziger vor als bisher. Sie hatten in aller Hast gefrühstückt - Abu Dun hatte das ohnehin kärgliche Mahl allein in sich hineingestopft und Andrej nur lustlos davon probiert und waren danach zum Hafen aufgebrochen. Trotz der noch frühen Stunde waren die Straßen bereits so voller Menschen, dass sie doppelt so lang wie erwartet für die Strecke brauchten, und auch das nur, weil Abu Dun immer rücksichtsloser von seiner Größe und Masse (und dem einen oder anderen Ellbogenstoß) Gebrauch machte. Cádiz war schon bei ihrer Ankunft kein Hort der Ruhe und Beschaulichkeit gewesen, nun aber lag eine gereizte Nervosität in der Luft, die sich fast mit Händen greifen ließ. Die Zahl der Soldaten hatte nun noch einmal zugenommen, und sie beäugten alles und jeden mit unübersehbarem Misstrauen. Mehrmals beobachtete er, wie sie sich scheinbar wahllos Männer oder Frauen aus der Menge herauspickten, ihre Papiere kontrollierten oder sie auch gleich an Ort und Stelle einem hochnotpeinlichen Verhör unterzogen. Allein zweimal auf dem Weg zum Hafen vertrat auch ihnen ein Soldat den Weg, wich aber jedes Mal hastig zurück, wenn ihn Abu Duns Blick traf. Schon bald, dachte Andrej, würde sich die Tatsache, dass sie keine Papiere hatten, als Problem herausstellen. Sie befanden sich an einem streng geheimen Ort, und es war nur eine Frage der Zeit, bis sie auf einen etwas mutigeren Soldaten trafen, der ihnen eine Frage stellte, die sie nicht beantworten konnten.
Heute schien dieser Tag jedoch noch nicht gekommen zu sein. Sie erreichten den Hafen unbehelligt - wenn auch ein wenig zerrupft -, nur um sich dort einer dicht geschlossenen Reihe von Soldaten gegenüberzusehen, die jeden kontrollierten, dem es in den Sinn kam, einen Blick in Richtung
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