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Goettersterben

Titel: Goettersterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Gecken auch nur anzusehen. Don Alberto de Castello mochte es lieben, sich so dezent wie ein Pfau zu kleiden und den hochnäsigen Aristokraten zu spielen, aber hinter dieser Maske lauerte etwas, das ihm Angst machte.
Voll dunkler Ahnung konzentrierte Andrej sich mit all seinen Sinnen auf die dunkelhaarige Gestalt. Aber er spürte nichts.
»Du würdest es nicht spüren, wenn er es wäre«, sagte Abu Dun auf Arabisch hinter ihm. »Du weißt, dass sie sich tarnen können.«
»Er nicht. Ich wüsste es, wenn es Loki wäre.« »Ach?«, fragte Abu Dun. »Und warum?«
»Weil ich diesen Kerl überall erkennen würde. Ganz egal, wie er sich auch verkleidet. Ich werde ihn finden, und wenn er sich im siebten Kreis der Hölle versteckte.« Zu seiner Überraschung antwortete Abu Dun nicht darauf, aber Andrej spürte seine mitleidigen Blicke. Er selbst hörte, wie albern und schwülstig seine Worte klangen.
Doch sie entsprachen der Wahrheit.
Loki hatte ihm alles genommen, was ihm nach einem schier endlosen Leben voller Schmerz und Enttäuschung noch geblieben war, und manchmal glaubte er, dass dadurch eine Seelenverwandtschaft zwischen ihnen entstanden war. Abu Dun hatte recht: Die Unsterblichen konnten ihre wahre Natur ebenso verbergen wie ihr wahres Aussehen, sodass nicht einmal Andrej und er sie erkannten … aber für Loki galt das nicht. Andrej hatte immer gewusst, wo er war.
Und dieser Mann dort drüben war nicht Loki.
»Was ist das für eine Sprache, in der ihr da redet?« Andrej wandte den Kopf und blinzelte verständnislos in ein blasses Kindergesicht. Der junge Mann steckte in einer unpassenden Uniform, die aus einem Kind einen Mann machen sollte – vergebens. Erst nach einem Moment wurde ihm klar, dass sie wieder zur EL CID zurückgekehrt waren.
»Arabisch«, antwortete er. »Abu Duns Muttersprache. Er verfällt immer wieder hinein, wenn er nervös ist.« »Nervös?«, fragte der Posten misstrauisch.
Andrej deutete auf den Menschenauflauf. »Was ist da los?«
»Der entflohene Engländer«, antwortete der Soldat. »Sie haben ihn wieder eingefangen.«
»Der englische Soldat?«, wunderte sich Abu Dun. »Haben sie ihn nicht erschossen?«
»Anscheinend hat er mehr Glück als Verstand gehabt. Muss eine Stunde oder länger im Wasser getrieben sein, aber jetzt haben sie ihn doch erwischt.« Er lachte leise. »Was für eine Schande. Die ganze Mühe, nur damit am Ende doch die Garotte auf ihn wartet. Gott ist ganz gewiss kein Brite.«
Nach allem, was Andrej bis jetzt erlebt hatte, bezweifelte er, dass Gott ein Mensch war – geschweige denn, etwas mit dieser Spezies zu tun haben wollte, beließ es aber nur bei einem angedeuteten Schulterzucken und sah wieder zum anderen Ende des Kais hin. Der Flüchtling lebte? Andrej hatte die Szene nicht selbst beobachtet, aber nach allem, was er von Pedro gehört und selbst beobachtet hatte, sollte das eigentlich unmöglich sein.
Er spürte Abu Duns bohrenden Blick und verständigte sich stumm mit dem Freund. Sie mussten dorthin. Wie sich zeigte, war das nicht nötig. Andrej zerbrach sich noch den Kopf über eine möglichst unauffällige Art, sich unter die Zuschauermenge zu mischen, als Bewegung in den Mob aus Soldaten und Schaulustigen kam. Etliche scharfe Befehle erschollen, deren Wortlaut Andrej nicht, deren Sinn er aber dafür umso besser verstand, dann teilte sich die Mauer aus Uniformen und zerschlissener Arbeitskleidung, und ein gutes Duzend Soldaten mit drohend erhobenen Musketen und aufgesteckten Bajonetten bildete ein lebendes Spalier für drei Reiter und zwei weitere, ausgesucht kräftige Marinesoldaten, die eine in Ketten geschlagene Gestalt zwischen sich führten.
Der Mann torkelte vor Erschöpfung und fiel allein auf dem ersten Dutzend Schritte drei oder vier Mal auf die Knie, wurde aber jedes Mal grob wieder auf die Füße gezerrt und mit mehr als einem Fußtritt oder Kolbenstoß für seine Schwäche bestraft.
Andrej presste die Kiefer so fest aufeinander, dass seine Zähne knirschten. Er kannte diesen Mann nicht. Er wusste nicht, was er sich hatte zuschulden kommen lassen und welchen Grund diese Soldaten hatten, ihn zu hassen. Aber niemand hatte das Recht, ihn so zu behandeln. Abu Dun legte ihm wie zufällig die Hand auf den Unterarm, während er neben ihn trat, und Andrej signalisierte ihm mit einem angedeuteten Nicken, dass er verstanden hatte und sich beherrschen würde, so schwer es ihm auch fiel.
Abu Dun verstärkte den Druck seiner Finger noch einmal und zog die Hand dann

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