Goettersterben
dass er ohne Vater aufwächst, dann solltest du über alles andere schweigen«, fügte Abu Dun mit einem warmen Lächeln hinzu.
Pedro fuhr auf dem Absatz herum und war wie der Blitz verschwunden.
Abu Dun sah ihm stirnrunzelnd nach. »Hältst du es für eine gute Idee, ihn gehen zu lassen?«, fragte er. »Nein. Und was soll ich deiner Meinung nach tun? Ihm die Kehle durchschneiden?«
Abu Dun sah ihn schon wieder prüfend an. »Natürlich nicht«, antwortete er schließlich und blickte Pedro nachdenklich nach. »Aber ich frage mich, woher seine plötzliche Hilfsbereitschaft kommt.«
Andrej hatte sich dieselbe Frage auch schon gestellt – mehrmals –, hatte aber darauf keine Antwort gefunden. Demonstrativ wollte er sich in Richtung des immer noch größer werdenden Menschenauflaufs in Bewegung setzen, doch der Nubier hielt ihn zurück.
»Da gibt es ein paar Dinge, über die wir reden müssen, Hexenmeister«, sagte Abu Dun. Obwohl sie allein waren und sich im Moment ganz gewiss niemand für sie interessierte, wechselte er wieder zu seiner Muttersprache.
»Jetzt?«, fragte Andrej im gleichen Idiom.
»Warum nicht jetzt?«, erwiderte Abu Dun. Andrej hätte nicht sagen können, was ihn mehr alarmierte: Der fast eisige Klang seiner Stimme oder die beinahe noch größere Kälte in seinem Blick. »Du weißt, wer diesen Jungen getötet hat?«
»So wenig wie du«, antwortete Andrej.
»Also weißt du es.« Abu Dun machte ein grimmiges Gesicht. »Es war ein Vampyr.«
»Und?«
»Pedro hat recht«, fuhr Abu Dun fort. »Die Tür war von innen verriegelt. Der, der ihn getötet hat, ist durch das Fenster gekommen – und vorher entweder wie euer Messias über das Wasser gewandelt oder geschwommen.«
»Und?«, fragte Andrej. »Worauf willst du hinaus?« Abu Dun hob die Schultern. Sein Gesicht blieb so ausdruckslos wie seine Augen kalt. »Du warst heute Nacht weg«, sagte er, »und als du zurückgekommen bist, waren deine Kleider nass.«
Andrej starrte ihn an. »Das meinst du jetzt nicht ernst.« »Ich meine gar nichts«, antwortete Abu Dun ungerührt. »Es ist mir gleich, ob du diesen Jungen umgebracht hast oder nicht. Ich wüsste nur gerne, warum.«
Andrej hätte nicht einmal dann antworten können, wenn er es gewollt hätte. Abu Dun hielt ihn für einen … Mörder? Er war nicht einmal zornig oder empört, sondern einfach … fassungslos. Abu Dun und er hatten im Laufe ihres Lebens Hunderte von Männern getötet, aber niemals heimtückisch und niemals grundlos. Sie waren Krieger, keine Mörder.
»Du bist ja verrückt«, brachte er schließlich heraus. »Vielleicht bin ich nur neugierig und möchte wissen, ob du noch der bist, den ich kenne«, antwortete Abu Dun ruhig. »Deine Wunde ist verheilt. Über Nacht.«
»Vielleicht hat das Gift seine Wirkung verloren«, sagte Andrej trotzig. Er war noch immer zutiefst erschüttert – nicht nur wegen dieses geradezu ungeheuerlichen Vorwurfs, sondern weil da tief in ihm eine leise Stimme flüsterte, dass die Worte des Nubiers nicht vollkommen unsinnig waren. Seine Kleider waren nass gewesen, als er aufgewacht war, und seine Verletzung war wie durch Zauberei verschwunden. Und da war auch noch die Erinnerung an einen wirren Traum …
Nein, an den er sich nicht erinnern wollte. Ohne ein weiteres Wort wandte er sich um und ging. Ein Teil von ihm wünschte sich beinahe, dass Abu Dun ihm nicht nachkam, doch der Nubier folgte ihm trotzdem. Nur um auf andere Gedanken zu kommen, ging Andrej den Weg zurück, den sie gerade erst gekommen waren. Der Auflauf am anderen Ende des Kais war noch einmal größer geworden. De Castello und seine beiden Begleiter hatten ihre Versuche, möglichst viele Männer in möglichst kurzer Zeit niederzureiten, mittlerweile eingestellt und waren abgesessen. Andrej korrigierte seine erste Schätzung, was de Castellos Größe anging. Der schwarzhaarige Edelmann musste nahezu Abu Duns Statur haben – zumindest seine Größe –, denn er konnte ihn selbst inmitten der Menschenmenge noch immer ausmachen, die er wie der sprichwörtliche Fels in der Brandung überragte, genauso unerschütterlich, aber kaum so ruhig.
Irgendetwas warnte ihn weiterzugehen. Andrej konnte das Gefühl nicht wirklich greifen und noch viel weniger in Worte fassen, aber es warnte ihn, diesem Mann nicht näher zu kommen. Es war keine Angst – Angst vor einem Menschen zu haben war für ihn unnötig –, sondern vielmehr etwas wie eine instinktive Abneigung, die es ihm schwer machte, den schwarzhaarigen
Weitere Kostenlose Bücher