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Göttersturz, Band 2: Der Galgenaufstand (German Edition)

Göttersturz, Band 2: Der Galgenaufstand (German Edition)

Titel: Göttersturz, Band 2: Der Galgenaufstand (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Schütz
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besser Bescheid als so mancher Student.
    Selbst über den Namen Sichelstadt könnte er stundenlang reden. Die einen glaubten, er stamme aus ihrer Gründungsgeschichte. Damals tötete der Stadtvater Nazarus seinen Bruder Halarus, indem er ihm mit einer Sichel die Kehle durchschnitt. Bei ihrem Streit war es – wie sollte es auch anders sein? – um eine Frau gegangen. Erst als Nazarus Alleinherrscher gewesen war und sich zum ersten Hochkönig Galyriens hatte krönen lassen, hatte die Blütezeit der Stadt begonnen.
    Die anderen wiederum glaubten, es wäre viel simpler und der Name würde lediglich daher stammen, dass die Felszunge, auf der sich die Stadt erstreckte, die Form einer Sichel hatte.
    Rowen persönlich vermutete die Wahrheit irgendwo dazwischen. Für ihn war all dieses Wissen das Fundament für das, was für ihn zählte: jederzeit und überall ungesehen verschwinden zu können.
    Er schlug einige Haken im Straßengewirr des uralten Cordiaviertels, bis er sich in Gassen wiederfand, in die sich selbst die allgegenwärtigen, streunenden Katzen nur selten verirrten. Hier ragten die Gemäuer so schief in die Höhe, dass sich ihre Dächer über den Wegen beinahe berührten. »Wenn Orchon ein Totenreich für Diebe erschaffen hat, dann sieht es so aus wie Cordia« , hatte Meeka stets gesagt.
    Rowen lockerte den Galgenstrick, der immer noch um seinen Hals lag, zog ihn aber nicht ab. Wenn das nicht mal ein idealer Glücksbringer war.
    Die Schatten ließen ihn ruhig werden. Sie waren der natürliche Freund des Diebes. Wo sie waren, gab es Sicherheit. Tief durchatmend hockte er sich auf die staubigen Treppenstufen eines Hauseingangs.
    Noch nie hatte er davon gehört, dass ein Galgenstrick gerissen war. Er musste dem Glück wahrhaftig den Arsch geküsst haben. Niemals hätte er sich auf Marentius' Unterfangen einlassen dürfen. Aber ihm war nichts anderes übrig geblieben, um die horrenden Schulden bei seinem Hehler zu begleichen.
    Marentius hätte sie ihm bis zum letzten Binar erlassen, wenn er für einen seiner Kunden ein Buch gestohlen hätte. Auch wenn Bücher selten und kostbar waren, wäre es doch ein leichter zu beschaffenes Diebesgut gewesen als die üblichen Juwelen oder Geldkassetten. Ein Kinderspiel für die Maus.
    Aber bei diesem Buch schien es sich um ein äußerst besonderes Exemplar zu handeln. Es trug den Titel Necronomicon und Marentius hatte ihn eindringlich davor gewarnt, es zu öffnen. Als würde der Wälzer nach ihm schnappen, wenn er es aufklappte.
    Noch dazu befand es sich in der Bibliothek des Onyxpalasts, der nicht ohne Grund als das am besten bewachte Gebäude Galyriens galt. Nicht einmal mit dem Mut der Trunkenheit wäre Rowen auf die Idee gekommen, dort einzusteigen.
    Und natürlich war er erwischt worden.
    Doch Marentius hatte ihm keine andere Wahl gelassen. Hätte er sich nicht auf den Diebeszug eingelassen, hätte er ihm seine Handlanger auf den Hals gehetzt – und die kannten keine Gnade, dafür aber einfallsreiche Methoden, um jemanden um die Ecke zu bringen.
    Ein Schauer lief ihm über den Rücken, als er an Zyllo dachte, Marentius' rechte Hand. Der hohlwangige Glatzkopf erzählte gern von seiner liebsten Tötungsart, dem Ibbienischen Schlips. Dabei durchtrennte er seinen Opfern den Kehlkopf und zog die Zunge durch den Schnitt nach unten, sodass sie unterhalb des Kinns heraushing.
    Unwillkürlich schob Rowen den Galgenstrick nach unten und rieb sich über den Hals. Er musste so schnell wie möglich aus der Stadt verschwinden. Das Scheitern war sein Todesurteil gewesen – und wenn es nicht durch die Scharfrichter des Ewigen Konzils vollstreckt wurde, dann eben durch die Sichelstädter Unterweltler.
    Er sprang auf und lief zum Ende der Gasse. Dort befand sich einer der hundertdreiundzwanzig Kanalisationsdeckel der Stadt, deren Positionen er in- und auswendig kannte. Mit geübten Bewegungen fasste er in den Spalt zwischen Bronzerand und Pflaster und stemmte den Deckel aus seiner Passung.
    Er holte Luft und stieg die rostigen Leitersprossen herab. An vieles konnte er sich gewöhnen, Anpassung gehörte zu seinem Leben. Aber gegen den fauligen Kloakengestank von Sichelstadts Tiefarkaden war selbst er machtlos. Eins ist sicher , dachte er, als er den Deckel wieder an seinen Platz zog, dieses frische Odeur ist eines der Dinge, die ich nicht vermisst hätte, wenn ich am Galgen verendet wäre.

Das Mäusenest
    »Wo hast du gesteckt?«
    Rowens jüngere Schwester Domitia stemmte die Fäuste in die

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