Göttersturz, Band 2: Der Galgenaufstand (German Edition)
heranschleichen können? Normalerweise hörte er es auf hundert Schritt Entfernung, wenn sich ihm jemand näherte. Es war jetzt schon das zweite Mal in kürzester Zeit, dass er sich so erwischen ließ. Vielleicht sollte ich die Stehlerei doch lieber an den Nagel hängen.
Ein weiterer Mann trat vor ihnen ins Licht der Straßenlaterne, so dürr wie eine Stabheuschrecke und so groß, dass er Rowen ohne Weiteres auf den Kopf spucken könnte. Er zog die Kapuze seines schwarzen Mantels ab. Sein Gesicht wies noch die weichen Züge eines Jünglings auf. Mit den vollen Lippen und der blonden Mähne hatte er bestimmt schon dem einen oder anderen Mädchen den Kopf verdreht.
»Dein Aussehen erinnert in der Tat an eine Maus«, sagte er, als er auf ihn zulief, die Hände hinter dem Rücken verschränkt.
»Soll mich das schmeicheln oder beleidigen?« erwiderte Rowen.
Der junge Mann lächelte und entblößte unversehrte, weiße Zahnreihen. Ein höchst seltener Anblick. Nur wenige konnten es sich leisten, ihre Kauleisten regelmäßig mit Süßholz oder Malvenwurzeln zu reinigen. »Die Entscheidung bleibt dir überlassen.«
»Was soll das hier werden?«, fragte Rowen und wand sich im Griff des Mannes hinter ihm. »Woher kennst du meinen Namen?«
Der Unbekannte breitete die Arme aus und lachte schallend. »Das fragst du dich wirklich? Nun, ganz Sichelstadt kennt seit heute deinen Namen. Rowen, die Maus; Rowen, der Mann, der Orchon ins Gesicht gelacht hat.« Er wedelte beiläufig mit der Hand. »Jolla, lass ihn los! Das hier ist schließlich kein Überfall.«
»Alles klar«, raunte der Kerl mit der rauchigen Stimme und entließ Rowen endlich aus seinem Klammergriff.
Dieser rieb sich die pochende Schulter. Sollte er gleich wegrennen oder sich auf ein Gespräch einlassen? Die beiden schienen ihn jedenfalls nicht umbringen zu wollen, sonst hätten sie schon längst die Gelegenheit ergriffen. Er wandte sich zu dem um, der Jolla hieß.
Im Gegensatz zu seinem Begleiter konnte er mit seiner Visage Frauen eher in die Flucht jagen als betören. Eine wulstige Narbe zog sich quer über sein Gesicht, das zur Hälfte von schwarzem Bart bewuchert wurde. »Was guckst du so? Ich bin nicht derjenige, der etwas von dir will!«, brummte er.
»Schon gut.« Rowen wandte sich wieder dem Blondschopf zu. »Wie habt ihr mich überhaupt gefunden?«
»Nun, Jolla ist eigentlich mein Leibwächter, aber er verfügt über Fähigkeiten, deren Nutzen weit über diese Funktion hinausgehen«, erklärte er.
Rowen verdrehte die Augen. Mann, drückte der sich geschwollen aus!
»Uns ist zugetragen worden, was mit dir geschehen ist. Und Jolla hat seine Beziehungen zu gewissen Personen spielen lassen, mit denen selbst du, der du mit der Sichelstädter Unterwelt bestens vertraut bist, nichts zu tun haben möchtest.«
»Wie schmeichelnd.«
»Es war somit keine Schwierigkeit, dich aufzuspüren. Wir haben nur auf den geeigneten Moment gewartet, dich anzusprechen. Und hier, allein im Park, ist es mehr als passend gewesen.«
»Solche Gedanken könnte sich auch ein Mörder machen«, erwiderte Rowen.
»Ich bitte dich!«, rief der Blondschopf. »Um dein – durchaus berechtigtes – Misstrauen zu zerstreuen, möchte ich mich dir vorstellen. Mein Name ist Salus. Ich darf voller Stolz verkünden, der Anführer des Widerstands zu sein.«
»Widerstand?« Rowen kratzte sich am Hinterkopf. »Widerstand gegen was?«
»Der Widerstand gegen die Tyrannei des Ewigen Konzils natürlich!« Salus ballte die Fäuste. »Sag mir, was weißt du über die Ereignisse in den Leeren Landen?«
»Nur das, was der Barde angeblich erzählt hat. Laut ihm soll Orchon tot sein. Von diesem Söldner Corellius Adanor niedergestreckt. Auch wenn ich nicht begreifen will, dass ein Gott sterben kann. Manche behaupten jetzt sogar, Orchon wäre gar kein Gott gewesen.«
Seufzend nahm Salus auf einer der Steinbänke am Wegesrand Platz. Er deutete neben sich. »Setz dich zu mir!«
»Hör zu, ich habe heute Nacht noch genug anderes zu erledigen«, sagte Rowen. Das hatte er ja tatsächlich. »Außerdem hängen mir ein paar üble Kerle im Nacken.«
Salus setzte ein Lächeln auf, das wohl selbst das Herz des Scharfrichters vom Mittag erweicht hätte. »Nur einen kurzen Moment. Ich denke, den dürftest selbst du in deiner Not entbehren können.«
»In Ordnung«, stöhnte er und ließ sich neben dem Widerständler auf die Bank fallen. Wer wusste schon, ob dieser Jolla ihn nicht doch mit Gewalt hierbehalten
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