Göttersturz, Band 2: Der Galgenaufstand (German Edition)
Hüften. Ihr Blick war so stechend, dass sie mit ihm wohl auch Steine zerschneiden könnte. Allerdings reichte sie ihm gerade einmal bis zur Brust, wodurch sie ihn mehr zum Lachen als zum Erzittern brachte. Er grinste sie an und zerzauste ihr herbstrotes Haar, das genau denselben Farbton wie seines hatte. »Oh, Frau Mutter, hätte ich mein Fortbleiben drei Tage im Voraus schriftlich anmelden sollen?«, flötete er.
»Mach dich nicht lustig«, schmollte sie, dann entdeckte sie den Strick um seinen Hals und erbleichte. »Bei Orchon, was ist geschehen?«
Auch Clodia, die ältere der beiden Schwestern, tauchte im Eingang des stillgelegten Wasserreservoirs auf, in dem sie lebten. Im Gegensatz zu ihrer Schwester drückte ihre Miene allein Besorgnis aus und keine Wut. »Du bist wieder da«, stellte sie mit ihrem Wisperstimmchen fest.
Rowen ließ sich auf einen der strohgefüllten Säcke plumpsen, die ihnen als Schlafstätten dienten. Aus einem Eimer, der vor ihm stand, schöpfte er Wasser und spritzte es sich ins Gesicht.
»Die haben mich im Onyxpalast erwischt. Wollten mich aufknüpfen, aber der Strick ist gerissen und ich konnte abhauen.« Er zog das Ende des Galgenstricks in die Höhe und gab würgende Geräusche von sich.
»Hör auf damit!« Domitia trat nach ihm, verfehlte ihn aber und geriet ins Taumeln. »Ich kann's mir leider auch so schon gut genug vorstellen.«
»Was hast du im Onyxpalast gesucht?«, flüsterte Clodia. Sie sprach immer mit leiser Stimme, selbst wenn es nicht nötig war. »Das ist doch viel zu gefährlich.«
Rowen sah sie an. Er verfolgte mit den Augen die scharlachroten Adern, die unter der blassen Haut der Wangen deutlich hervorschienen. Roter Tod – so nannte man die Krankheit deswegen im Volksmund. Die Doktoren, die ihm für ihre Arzneien das Geld aus den Taschen zogen, bezeichneten sie als Fluidara Magenta Superior.
»Die Schulden«, sagte er leise und senkte den Blick. »Marentius hätte mir endgültig seine Halsabschneider auf den Leib gejagt, wenn ich es nicht getan hätte.«
»Du brauchst die ganzen Medikamente nicht kaufen«, sagte Clodia und wie immer schwang Entschuldigung in ihren Worten mit. Sie drückte ihre Puppe aus Stofffetzen, gefüllt mit Heu und Spänen, fester an sich. Noch genau konnte Rowen sich daran erinnern, wie ihre Mutter sie für sie genäht hatte; am Kochfeuer sitzend und alte Landlieder singend, vom Strohmann, der sich für seine Liebste selbst entzündet hatte, und vom Söldner der Schwachen, der Blumen als Bezahlung genommen hatte. Wie in Trance zeichnete Clodia mit der Spitze ihres Zeigefingers die schimmernden Äderchen nach. »Das habe ich dir immer gesagt, dass du das nicht musst.«
Er sprang auf und trat den Eimer um. Sein Inhalt ergoss sich über den mit Heu ausgelegten Boden. »Ich hasse es, wenn du das sagst! Was willst du? Dass ich zuschaue, wie meine kleine Schwester Blutklumpen kotzt? Wie sie sich unter Schmerzen windet? Wie ihr langsam die Haare und die Finger- und Zehennägel ausfallen? Und wie sie schließlich unter Qualen an ihrem eigenen Blut erstickt?«
Clodia zuckte bei jeder Frage zusammen, als hätte er ihr eine Ohrfeige versetzt. Selbst die sonst so vorlaute Domitia war verstummt.
»Tut mir leid«, sagte er, seufzte und stellte den Eimer wieder auf. »Aber das kommt überhaupt nicht in Frage.«
Für ewige Momente war nur das stete Tropfen des Wassers zu hören. Ihr Reservoir lag, Orchon sei's gedankt, in einem Areal der Tiefarkaden, das nicht allzu sehr stank. Selbst ein Streifen Licht fiel durch ein vergittertes Fenster in ihr kleines Reich.
Seine Schwestern hatten sich gefürchtet und ihn verwünscht, als er sie das erste Mal hierher geführt hatte. Für die Mädchen, die bisher nur die Weite und frische Luft der Ährlande gekannt hatten, musste ihre neue Bleibe wie die Hölle auf Erden gewesen sein.
»Wir sind Mäuse« , hatte er ihnen damals gesagt. »Und das hier ist unser Mäusenest.«
»Wer sind dann die Katzen?« , hatte Domitia gefragt.
»Alle.«
»Alle?«
»Ja, denn wir stehlen ihnen die Brotkrumen vom Teller und den Käse aus ihrem Vorratsschrank.«
Für etwas anderes als die Tiefarkaden hatte es nie gereicht. Dafür fraßen die Arzneien für Clodia zu viel von seinen Einkünften.
Domitia fragte schließlich: »Und was machen wir jetzt?«
»Wir verlassen die Stadt. Noch heute.«
»Und wohin willst du gehen?« Clodia gab ein ungläubiges Lachen von sich. »Wo willst du dann meine Medikamente
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