Goettin in Gummistiefeln
Toiletten: besetzt, frei. Dann gäbe es nicht diese blöden Missverständnisse.
Na jedenfalls, bei mir war leider kein Schildchen dran. Und falls doch, dann das falsche. Die nächsten ein, zwei Wochen waren ziemlich peinlich. Ich habe Guy ständig angelächelt, ihm wurde zunehmend unbehaglicher und er fing an, mir aus dem Weg zu gehen, weil er a) keine Beziehung zerstören wollte und b) keine Lust auf einen flotten Dreier mit Jacob und mir hatte.
Ich stand da wie der Ochs vorm Berg und habe es schließlich aufgegeben. Dann kam mir gerüchteweise zu Ohren, dass er sich seit einiger Zeit mit einer gewissen Charlotte trifft, die er auf irgendeiner Wochenendparty kennen gelernt hat. Ein, zwei Monate später mussten wir zusammen an einem Fall arbeiten und wurden Freunde - was wir immer noch sind.
Tja, das wär‘s so weit.
Und ich meine, es ist schon in Ordnung. Wie das Leben eben so spielt. Manche Dinge klappen - andere nicht. Dies hier sollte eben einfach nicht sein.
Bloß, dass ich, tief im Herzen, das Gefühl habe ... dass es eben doch hätte sein sollen.
»Also«, sagt Guy, während wir durch den Flur zum Konferenzzimmer gehen. »Partner.« Er zwinkert mir zu.
»Sag so was nicht!«, zische ich entsetzt. Er wird es noch verschreien.
»Jetzt komm schon. Du hast es geschafft, das musst du doch wissen.«
»Ich weiß gar nichts.«
»Samantha, du bist die Beste deines Jahrgangs. Und du arbeitest am härtesten. Wie hoch ist dein IQ noch mal? 600?«
»Klappe.« Ich starre auf den pastellblauen Teppich, und Guy lacht.
»Was ist 124 mal 75?«
»Neuntausenddreihundert«, knurre ich.
Das ist das Einzige, was mir bei Guy wirklich auf den Wecker geht. Ich kann nämlich - so etwa seit meinem zehnten Lebensjahr - große Summen im Kopf ausrechnen. Ich weiß nicht, warum, es ist einfach so. Und alle anderen sagen »schön« und belassen es dabei.
Nur Guy kann einfach nicht aufhören. Dauernd wirft er mir irgendwelche Zahlen an den Kopf, als wäre ich eine Zirkusattraktion. Ich weiß, er findet das lustig - aber mir geht es ziemlich auf die Nerven.
Einmal habe ich ihm absichtlich ein falsches Ergebnis genannt. Doch dann hat sich rausgestellt, dass er die Zahl für einen Vertrag brauchte, an dem er arbeitete. Der Deal wäre deswegen beinahe geplatzt. Seitdem hüte ich mich, falsche Auskünfte zu geben.
»Hast du schon für dein Foto vor dem Spiegel geübt?« Er meint das Foto für die Website der Firma. Guy legt einen Finger ans Kinn und zieht eine übertrieben nachdenkliche Miene. »Ms. Samantha Sweeting, Seniorpartnerin.«
»Auf den Gedanken bin ich noch gar nicht gekommen.« Ich verdrehe die Augen über so viel Albernheit.
Obwohl es eine klitzekleine Lüge ist. Ich habe mir natürlich bereits Gedanken über mein Outfit gemacht. Wie ich meine Haare tragen könnte. Und welches meiner schwarzen Kostüme passen würde. Eins steht aber schon fest: Diesmal werde ich ganz breit lächeln. Auf der jetzigen Carter- Spink-Website sehe ich nämlich viel zu ernst aus.
»Ich hab gehört, deine Präsentation neulich hat sie umgehauen«, sagt Guy.
Das hebt schlagartig meine Laune. »Wirklich?« Ich versuche, nicht zu eifrig zu klingen. »Das hast du gehört?«
»Und dass du‘s William Griffith vor allen gezeigt hast.« Guy verschränkt die Arme und mustert mich belustigt. »Machst du eigentlich überhaupt mal einen Fehler, Samantha Sweeting?«
»Ach komm, ich mache ständig Fehler«, sage ich leichthin.
Wie zum Beispiel den, dich nicht gleich am ersten Tag zu schnappen, Single hin oder her.
»Ein Fehler ist erst dann ein Fehler, wenn er sich nicht mehr wieder gutmachen lässt.« Guys Augen scheinen sich bei diesen Worten förmlich in die meinen zu bohren.
Aber vielleicht guckt er ja auch nur so, weil er übernächtigt ist. Ich war noch nie gut, wenn es darum ging, irgendwelche Zeichen zu deuten.
Das hätte ich studieren sollen, anstatt die Juristerei. Damit hätte ich wirklich was anfangen können. Einen Magister in »Wissen, wann Männer auf dich stehen und wann sie bloß gute Freunde sein wollen«.
»Alles bereit?« Kettermans schneidende Stimme lässt uns beide zusammenfahren. Ich drehe mich um und sehe ein ganzes Rudel Männer in schwarzen Anzügen auf uns zukommen. Auch ein paar Frauen entdecke ich darunter - ebenso schwarz gewandet.
»Selbstverständlich.« Guy nickt Ketterman zu, dreht sich dann um und schenkt mir ein freches Zwinkern.
Vielleicht sollte ich ja einen Kurs im Gedankenlesen belegen.
3
Neun
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