Gold. Pirate Latitudes
Ausschau nach Wildschweinen, doch sie entdeckten keins. Die Affen, die in den Baumkronen über ihnen schnatterten, schienen sie zu verspotten. Sie hörten die Tiere, aber Sanson bekam nie die Gelegenheit eins zu erlegen.
Der zweite Tag war schon fortgeschritten, als sie erstmals das Geräusch des Windes bemerkten. Es war zunächst schwach, ein fernes, leises Raunen. Doch als sie sich dem Rand des Dschungels näherten, wo die Vegetation lichter wurde und sie leichter vorankamen, war der Wind schon lauter. Bald darauf konnten sie ihn spüren, und obwohl die Brise eine Wohltat war, blickten sie einander besorgt an. Sie wussten, der Wind würde an Stärke zunehmen, je näher sie der Felswand von Mount Leres kamen.
Am späten Nachmittag erreichten sie schließlich den Fuß der Felswand. Der Wind war inzwischen zu einem brüllenden Dämon geworden, der an ihrer Kleidung zerrte, ihnen ins Gesicht schlug, in den Ohren kreischte. Sie konnten sich nur schreiend verständigen.
Hunter blickte an der Felswand hoch. Sie war tatsächlich so steil, wie sie von Weitem ausgehen hatte, und kam ihm sogar noch höher vor, als er gedacht hatte – vierhundert Fuß nackter Felsen, so heftig von Wind umtost, dass ununterbrochen kleine und größere Steine auf sie niederprasselten.
Er winkte den Mauren zu sich. »Bassa«, rief Hunter und beugte sich dicht zu dem gewaltigen Mann hinüber. »Lässt der Wind abends nach?«
Bassa zuckte mit den Schultern, hob zwei Finger und drückte sie leicht zusammen: ein wenig.
»Kommst du im Dunkeln da hoch?«
Er schüttelte den Kopf, nein. Dann formte er mit den Händen ein kleines Kissen und legte den Kopf darauf.
»Willst du morgen früh klettern?«
Bassa nickte.
»Er hat recht«, sagte Sanson. »Wir sollten bis morgen früh warten, wenn wir ausgeruhter sind.«
»Ich weiß nicht, ob wir warten können«, sagte Hunter. Er blickte gen Norden. In einigen Meilen Entfernung sah er über einer friedlichen See eine breite graue Linie auf dem Wasser und darüber bedrohliche schwarze Wolken. Ein Unwetter, mehrere Meilen breit, kam langsam auf sie zu.
»Noch ein Grund mehr«, rief Sanson Hunter zu. »Wir sollten warten, bis das vorüber ist.«
Hunter wandte sich ab. Hier, gleich unterhalb der Klippe, waren sie rund fünfhundert Fuß über dem Meeresspiegel. In südlicher Richtung konnte er Ranomos erkennen, gut dreißig Meilen entfernt. Die Cassandra war nicht mehr zu sehen und lag hoffentlich längst in der schützenden Bucht vor Anker.
Hunter blickte wieder in Richtung des aufziehenden Unwetters. Sie könnten die Nacht abwarten, und vielleicht würde es an ihnen vorbeiziehen. Aber falls es so heftig und so langsam war, dass sie einen ganzen Tag verloren, dann war ihre gesamte zeitliche Planung dahin. Und in drei Tagen würde die Cassandra nach Matanceros segeln und fünfzig Mann in den sicheren Tod tragen.
»Wir klettern jetzt«, sagte Hunter.
Er blickte den Mauren an. Der Maure nickte und ging seine Seile holen.
Es war ein sonderbares Gefühl, dachte Hunter, als er das Tau in den Händen hielt und es immer wieder zucken und wackeln spürte, während der Maure die Felswand erklomm. Das Seil zwischen Hunters Fingern war anderthalb Zoll dick, doch hoch über ihm sah es so dünn aus wie ein zarter Faden, und die massige Gestalt des Mauren war ein winziger Punkt, der im schwächer werdenden Licht kaum noch auszumachen war.
Sanson kam zu ihm und beugte sich an sein Ohr. »Ihr seid wahnsinnig«, brüllte er. »Das überlebt keiner von uns.«
»Angst?«, rief Hunter zurück.
»Ich habe vor nichts Angst«, sagte Sanson und schlug sich auf die Brust. »Aber seht Euch die anderen an.«
Hunter wandte den Kopf. Lazue zitterte. Don Diego war auffällig blass.
»Die schaffen das nicht«, rief Sanson. »Was wollt Ihr ohne sie machen?«
»Sie werden es schaffen«, erwiderte Hunter. »Sie müssen es schaffen.« Er blickte kurz in Richtung des aufziehenden Unwetters, das immer näher kam und nur noch ein oder zwei Meilen entfernt war. Der Wind fühlte sich schon deutlich feucht an. Plötzlich spürte er, wie an dem Seil in seinen Händen gezogen wurde, dann folgte ein zweiter kurzer Ruck.
»Er ist oben«, sagte Hunter. Er blickte hoch, konnte den Mauren aber nicht mehr sehen.
Einen Augenblick später fiel ein zweites Seil herab.
»Schnell«, sagte Hunter. »Die Ausrüstung.« Sie banden die Segeltuchbeutel mit allem, was sie dabeihatten, an das Seil, dann zogen sie kurz daran, um dem Mauren das
Weitere Kostenlose Bücher