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Gold und Stein

Gold und Stein

Titel: Gold und Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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»Mein Bruder Caspar und ich sind die Kinder von Gernot Fischart, einem Kaufmann aus der Königsberger Altstadt«, beeilte sie sich sogleich, ihre Namen ebenfalls zu nennen.
    »Es ist mir eine große Ehre! Wenn Ihr Euren verehrten Herrn Vater wiederseht, so versäumt bitte nicht, ihn unserer tiefsten Hochachtung für seine wohlgeratenen Kinder zu versichern.«
    Das Lob stieß Agnes bitter auf. Offenbar kannte er ihren Vater. Der aber schien ihr der Letzte, dem für ihr Verhalten zu danken war. Wenn sie Pech hatte, ahnte er nicht einmal, dass er eine Tochter wie sie hatte. Plötzlich schoss ihr ein unerwarteter Gedanke in den Sinn: Etwas Besonderes musste dieser Fischart an sich haben. Denn ihre Mutter Gunda war eine Frau, die ihr Herz gewiss nicht leichtfertig verschenkte, selbst in jungen Jahren nicht. Vielleicht sollte sie sich doch freuen, ihren unbekannten Vater bald leibhaftig kennenzulernen.

7
    D er Wirt hatte Agnes etwas Gutes tun wollen und ihr ein Bett in der Kammer seiner jüngst erst unter die Haube gebrachten Tochter zugewiesen. Außer Agnes nächtigte darin allerdings noch die taube Mutter des Wirts. Zwar gab es in dem Zimmer im Obergeschoss gleich über der Gaststube zwei schmale Betten, die ein noch schmalerer Gang voneinander trennte, dennoch machte Agnes kaum ein Auge zu. Das laute Stöhnen der alten Frau schreckte sie immer wieder auf. Hinzu kam ihr angestrengtes Grübeln, was sie beim baldigen Wiedersehen mit Laurenz erwarten würde. So schlief sie kaum und war froh, als endlich der Morgen dämmerte.
    »Du bist verrückt!«, wies Caspar beim morgendlichen Imbiss ihr Ansinnen ab, sogleich zur Marienburg aufzubrechen, um dort auf Johann Telpin und seine Begleiter zu warten. Forschend blickte sie ihrem Bruder in die Augen, nahm mit einem Anflug von Traurigkeit die Ähnlichkeit seiner Nase mit der ihrer geliebten Großmutter Lore wahr. Sie schluckte und wandte sich ab. Der erste Hahnenschrei lag bereits eine geraume Weile zurück. Die anderen Gäste waren längst aufgebrochen, die Geschwister saßen allein in der Gaststube. Der Wirt ließ sich nicht blicken, die Magd war mit der Suppe beschäftigt. Eine Wirtin oder weiteres Gesinde außer dem Stallknecht schien es nicht zu geben.
    »Es wird nicht lange dauern, bis Telpin uns seine Nachricht schickt«, fuhr Caspar fort. »Gedulde dich. Es geht alles seinen erhofften Gang.«
    Ob seiner Gemütsruhe verdrehte Agnes die Augen. Sie wollte ihm abermals widersprechen, da betrat ein etwa zwölfjähriger Bursche die Gaststube. Suchend sah er sich um und kam nach kurzem Zögern auf sie zu.
    »Verzeiht, seid Ihr Caspar Fischart? Hier ist eine Nachricht für Euch.« Der Junge streckte Caspar ein versiegeltes Schreiben entgegen und verbeugte sich artig.
    »Danke. Darauf warten wir bereits.« Caspar gab ihm eine Münze, nahm das Schreiben und sah triumphierend zu Agnes. »Siehst du, es geht alles schneller, als du denkst.«
    »Dann lass uns gleich aufbrechen.« Entschlossen sprang sie von der Bank, wickelte sich in ihren Umhang und eilte hinter dem Botenjungen zur Tür hinaus.
    An diesem Vormittag zeigte sich die Stadt weitaus freundlicher als bei ihrer Ankunft am Vorabend. Nebel und Regen hatten sich verzogen, klar strahlte die Sonne vom wolkenlosen Oktoberhimmel und spendete wohltuende Wärme. Vor dem näher rückenden Winter blühte das Leben in allen Ecken und Winkeln noch einmal trotzig auf. Die Krämer nutzten die Gelegenheit, ihre Waren unter freiem Himmel feilzubieten. Friedlich schlenderten böhmische Söldner durch die Straßen und brachten ihre letzten Münzen unters Volk. Die Betreiber der unzähligen Garküchen machten beste Geschäfte. Der Geruch nach Gesottenem mischte sich mit dem scharfen Gestank nach Vieh, Schweiß und Mist, der aus den dunklen Ecken kroch. Auch so mancher Söldner sah aus, als brächte er sein Geld besser in die Bade- statt in die Wirtsstuben.
    Agnes verschwendete kaum mehr als einen flüchtigen Blick auf das Geschehen in den Gassen. Die vielen umherziehenden Menschen waren ihr bald ein Greuel, erschwerten sie doch das Vorankommen. Geschickt zwängte sie sich durch das Gedränge, fand immer noch einen schmalen Spalt, um zwischen den Leuten hindurchzuschlüpfen. Es war ihr einerlei, ob Caspar ihr folgen konnte oder nicht. Spätestens am Eingang zur Ordensburg würde sie ihn wiedertreffen. Bald erspähte sie am Ende der langen Straße das ersehnte Gemäuer. Gewaltig ragten die Mauern am Horizont auf. Agnes verweilte einen Moment,

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