Gold und Stein
beiden ist der Zutritt erlaubt«, erwiderte Caspar und reichte dem Wachposten das versiegelte Schreiben Telpins. Ratlos sah der Mann darauf, wechselte einen fragenden Blick mit seinem Kumpan. Schon meinte Agnes, er sei des Lesens unkundig, da fiel ihr auf, dass es wohl eher das Siegel war, das ihn stutzen ließ. Neugierig versuchte sie zu erkennen, was ihn daran stören mochte.
»Was gibt es?«, erklang eine Stimme von Seiten der Brücke. Erstaunt sahen sie auf. Unvermittelt stand Johann Telpin hinter den Wachposten, dicht gefolgt von seinen drei Begleitern.
»Wisst ihr nicht, was dieses Siegel bedeutet?«, herrschte Telpin die beiden Wachen an, die sich unter seiner wütenden Stimme duckten. »Lasst sie durch. Die beiden Herrschaften gehören zu meinem Gefolge, wie euch das Schreiben zeigt.«
Damit winkte er Agnes und Caspar zu sich. Die beiden Wachen wagten nicht länger, sich zu widersetzen. Dankbar nickte Agnes ihrem neuen Beschützer zu. Außerhalb der dämmrigen Gaststube wirkte er noch ehrfurchteinflößender. In der faltenreichen Houppelande aus schwerem, dunkelblauem Samt, die am Kragen mit weißem und inwendig mit grauem Feh verbrämt war, wirkten seine Schultern einschüchternd breit. Auf dem Haar thronte ein Barett, das ebenfalls aus dunkelblauem Samt gefertigt war. Die roten Strumpfhosen und die langen Schnabelschuhe verliehen seinem weit ausholenden Gang eine überraschende Leichtigkeit. Bei jedem Schritt klingelten die Glöckchen an den Gogeln. Auch Waller und Roseman waren aufs prächtigste gewandet. Zwar trugen sie kein Feh an ihren Houppelandes, dafür aber war der Biber an ihren Krägen von ausgezeichneter Qualität.
Die drei Herren eilten Caspar und Agnes über die hölzerne Zugbrücke in die Vorburg voraus. Kaum blieb ihnen Gelegenheit, sich die Anlage genauer anzusehen. Im Vorbeihasten schnappte Agnes lediglich flüchtige Eindrücke auf: Rechter Hand hinter der Brücke lagen die Wachgebäude sowie die Rüstkammer, was unschwer an den zahlreichen Wachmännern mit schweren Waffen zu erkennen war, die sich davor sammelten. Aus einer offenen Schmiede klang Hämmern herüber. Mehrere Stallknechte hielten sich dort mit einem halben Dutzend zu beschlagender Pferde auf.
Telpin und seine Gefährten schenkten dem keinerlei Beachtung. Zielsicher hielten sie auf das Innere der weitläufigen Anlage zu, das sich nördlich des Mittel- und Hochschlosses erstreckte.
Das bunte Treiben unter den ausladenden Eichen und auf den Wiesen erinnerte eher an einen Jahrmarkt denn an eine gut gesicherte Festung. Eine unübersehbar große Zahl Söldner lungerte mitsamt ihren Knappen und Pferden beschäftigungslos herum. Daneben trieben Händler, Huren und Spielleute ihr Geschäft, führten Possen auf oder trachteten danach, sich gegenseitig in günstigen Angeboten auszustechen. Selbst Alte und Kinder waren zu Agnes’ Verwunderung darunter auszumachen. Ihr Blick schweifte umher. Am Rand des Platzes gewahrte sie eine Gruppe Spieler. Am liebsten hätte sie Telpin auf die Männer aufmerksam gemacht, um nach Laurenz’ würfelsüchtigem Kunstdiener zu fragen. Doch der weißhaarige Böhme lief weiter, ohne nach rechts und links zu sehen. Sie musste sich sputen, wollte sie ihn im Gedränge nicht verlieren.
Stetes Klopfen und Hauen der Steinmetze, Maurer und Zimmerleute übertönte bald das lustige Rufen der Spielleute. Der große Platz direkt vor dem Tor zum Mittelschloss hatte sich in eine riesige Baustelle verwandelt. Neben einem Steinmetz, der gerade dabei war, aus einem kantigen Block die ersten Umrisse einer Figur herauszuarbeiten, bearbeitete ein Holzschnitzer mit flinken Schüben seines Werkzeugs einen dicken Stamm. Grob war bereits zu erkennen, dass daraus einmal ein reich mit Blätterwerk verziertes Gestühl entstehen würde. Ihm gegenüber hämmerte ein Schmied einen Eisenbeschlag. Zwischen all den fleißigen Männern lagerte das Material für weitere Figuren, Gestühle und Beschläge sowie für die Errichtung von Steinmauern und Wällen. In einiger Entfernung war ein Gerüst aufgeschlagen, um eine Krone auf einer mannshohen Mauer zu errichten. Kaum war zu erkennen, dass direkt daneben eine Kapelle stand. Nahebei wurde gerade ein Kran aufgebaut, der den Kirchturm bereits überragte.
Mit jedem Schritt durch das Gewühl wurde Agnes ungeduldiger. Zwischen all den Bauhandwerkern konnte irgendwo Laurenz stecken. Das würde ihr das Reden mit seinem Kunstdiener ersparen. Ihr war, als spürte sie Laurenz’ Gegenwart
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