Gold und Stein
dem Stall zurückgekommen war. Zum Glück tauchte im selben Moment die Magd auf und stellte eine dampfende Schüssel Suppe sowie einen Becher mit Bier vor sie hin. Hungrig griff sie nach dem Löffel.
»Nur zu, verehrtes Fräulein, stillt erst einmal Euren Hunger. Wenn man satt ist, redet es sich leichter«, gab sich der Weißhaarige verständnisvoll.
Agnes achtete kaum mehr auf ihn. Die Suppe schmeckte so hervorragend, wie ihr verlockender Geruch hatte erwarten lassen. Selbst die Fleischstücke, die in der Brühe schwammen, waren groß und weich. Zufrieden brockte Agnes Brot in die Suppe und nahm einen Schluck Bier. Auch das hielt, was sein malziger Duft verheißen hatte. Das Essen und Trinken fesselte ihre Sinne wie lange nicht. Viel zu spät wurde sie darüber der Veränderung in der Gaststube gewahr: Sämtliche Gespräche waren verstummt. Stattdessen lauschten die Leute einem Lärm, der von draußen hereinschwappte. Ein lautes Wortgefecht war zu hören, dazu ertönte dumpfes Gepolter.
»Scher dich zum Teufel, räudiger Hund!«
»Nimm deine dreckigen Pranken von mir, du elender Erzbube!«
»Dir werd ich helfen, törichter Lump!« Wiederum folgten dumpfe Laute, die wohl Schläge markierten. Scheppernd fiel ein Blecheimer um, Holz krachte. Ein Pferd wieherte entrüstet, aufgeregt gackerten Hühner.
»Da schlagen sich zwei«, erklärte der Gast, der am nächsten zur Tür saß.
»Was Ihr nicht sagt«, erwiderte ein Würfelspieler.
»Wo ist der Wirt?«, fragte ein Dritter und blickte sich suchend um. Von dem einäugigen Wirt war nirgendwo etwas zu sehen. Agnes’ Gegenüber erhob sich von der Bank und entfaltete dabei eine ehrfurchtgebietende Größe. »Ich schaue nach, was los ist.«
»Wartet, wir kommen mit!« Die anderen Männer rund um den Tisch sprangen ebenfalls von den Bänken auf.
»Es gibt wohl gewaltigen Ärger drüben im Stall«, erklärte der Graubärtige, der direkt neben Agnes gesessen hatte.
»Wir sollten den Büttel rufen«, schlug ein weiterer Mann aus der Runde vor, der bislang im Schatten des Graubärtigen gesessen hatte. Zum ersten Mal sah Agnes sein Gesicht. Es war von dicken Pusteln und wulstigen Narben überzogen und verriet eine gewisse Jungenhaftigkeit. Er mochte kaum älter als Laurenz sein.
»Am besten, Ihr lauft selbst«, stimmte der Graubärtige zu. Das ließ sich der Narbige nicht zweimal sagen. Schon war er bei der Tür und stürzte in die Dunkelheit. Unter Führung des Weißhaarigen stürmten auch die anderen nach draußen.
Froh, sich selbst keinen gefährlichen Abenteuern aussetzen zu müssen, wandten sich die übrigen Gäste wieder ihren Bechern zu. Bald knallten die Würfelspieler ihre Würfel erneut auf den Tisch. Der Lärm von draußen geriet über dem freudigen Aufjauchzen angesichts des ersehnten Paschs rasch in Vergessenheit. Agnes jedoch hielt es nicht länger auf ihrem Platz. Eine beunruhigende Ahnung beschlich sie. Unauffällig glitt sie von der Bank und stahl sich ebenfalls hinaus.
Vor dem Gasthaus wurde ihr klar, dass der Lärm aus den benachbarten Ställen drang. Durch das offen stehende Tor gelangte sie in den Hof und zur Stalltür.
Zunächst versperrten breite Männerrücken ihr den Blick. Flink bückte sie sich und linste zwischen ihnen hindurch.
Die Prügelei war beendet. Der einäugige Wirt sowie der Weißhaarige hielten jeweils einen Streithahn fest. Noch immer traten und spuckten sie nach ihrem Gegner, allerdings waren sie so weit voneinander getrennt, dass die Tritte ins Leere gingen. Agnes war keineswegs überrascht, dass es sich bei einem von ihnen um Caspar handelte. Der andere musste der Stallknecht sein. Gerade erhielt ihr Bruder wohl die Lektion, die er nicht aus den Erzählungen anderer, sondern am eigenen Leib lernen musste.
»Ruhig Blut, junger Herr«, raunzte der Wirt ihn an, während der Weißhaarige ihn an den Oberarmen fest im Griff behielt. »Auch wenn Ihr ein reicher Kaufmannssohn aus der Königsberger Altstadt seid, gibt Euch das noch lange nicht das Recht, derart mit meinem Knecht umzuspringen.«
»Ist er ehrfürchtiger zu mir, bin ich das auch«, brauste Caspar auf. »Schließlich bin ich Gast und zahle für Eure Dienste.«
»Wer hoch zu Ross in unseren Stall reitet, kann nicht unser Gast sein«, erwiderte der Knecht nicht minder aufgebracht. Er war im gleichen Alter wie Caspar und von ähnlicher Statur.
»Lasst gut sein«, beschwichtigte der Wirt. »Mir scheint, dieser junge Herr hier muss noch lernen, wie er sich auf Reisen zu
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