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Gold

Gold

Titel: Gold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Cleave
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Rotwein gelingen.
    Sie kam in sein Büro, bleich vor Traurigkeit und kleiner, als er sie je gesehen hatte.
    »Tee?«, fragte er, weil er nicht wusste, was er sonst sagen sollte.
    Sie nickte und setzte sich an seinen Schreibtisch, während er zwei Tassen Tee zubereitete.
    »Ich bin stolz auf dich. Was du heute auf der Bahn gemacht hast, war das Beste, was ich je bei einer Athletin erlebt habe.«
    »Und jetzt bereue ich es.«
    »Du bist auch nur ein Mensch. Glaube ich jedenfalls.«
    Sie brachte ein schwaches Lächeln zustande, dann tranken sie einen Schluck Tee.
    Sie sah ihn über den Rand der Tasse hinweg an. »Was soll ich jetzt machen, Tom?«
    Er nahm Block und Stift vom Schreibtisch. »Lass uns eine Liste aufstellen. Zuerst müssen wir mit dem Verband über eine Laufbahn im sportlichen Bereich sprechen, die erste Trainerstelle für dich finden, damit fängst du an. Dann sollten wir eine Presseerklärung abgeben. Vorher solltest du vermutlich mit deiner Agentin und deinen Sponsoren reden. Dann müssen wir – «
    »Stopp«, sagte Zoe leise. Sie drückte die Handballen gegen die Stirn. »Ich meine nicht, was ich heute machen soll. Ich dachte eher an den Rest meines Lebens.«
    Tom kniff die Augen zu. » Leben ist ein großes Wort, oder? Zerlegen wir es doch mal in kleinere Teile. Finden wir eine Größenordnung, mit der wir arbeiten können. Vielleicht einen Monat, eine Woche, und jeden dieser Bausteine gehen wir wie eine Trainingseinheit an …«
    Er kam allmählich in Fahrt, formte aus der stickigen Luft seines Büros greifbare Zeiteinheiten. Als er ihren Blick sah, verstummte er.
    »Ich habe mit einer Tausendstelsekunde verloren«, sagte sie. »Erzähl mir nichts von Wochen und Monaten.«
    Er legte Block und Stift zurück auf den Schreibtisch.
    Sie sah ihn eindringlich an, ihre Knie zitterten. »Du hattest ein Kind, oder?«
    Er nickte. »Das habe ich noch immer, irgendwo. Matthew. Ich habe ihn seit, was weiß ich, zwanzig Jahren nicht gesehen.«
    »All die Jahre hast du nie über ihn geredet.«
    »Es ging ja auch nie um mich , oder?«
    Er lächelte, sie nicht.
    »Hast du jemals geträumt, du stehst auf der Straße und hast dein Kind verloren, und der Traum geht immer und immer weiter, und du suchst wie wahnsinnig und findest nur die Schuhe des Kindes?«
    Das Lächeln verschwand aus Toms Gesicht. Er sah sie wortlos an.
    »Die verdammten Schuhe , Tom. Manchmal sind sie voller Blut, bis zum Rand. Sie sind so voll, dass du nur ganz leicht gegen die Seite des Schuhs drücken musst, schon schwappt das Blut über den Rand und tropft dir auf die Finger. Kennst du das?«
    »Oh, Zoe. Wann wirst du mir endlich erzählen, was dir zugestoßen ist?«
    Sie reagierte nicht auf seine Worte. »Diesen Traum habe ich fast jede Nacht. Dann wieder werde ich von jemandem gejagt. Deshalb habe ich Angst, allein zu sein. Hast du nie Angst?«
    Er schaute auf seine Hände. »Ich nehme an, man gewöhnt sich dran.«
    Sie atmete stoßweise aus. »Ich nicht. Das Einzige, was je geholfen hat, war das Rennen. Das ist die einzige Zeit, in der ich an nichts anderes denken kann.«
    »Okay, dann lass uns daran arbeiten. Wir sehen uns die Auslöser der Albträume an, und dann arbeiten wir Strategien aus, wie du damit umgehen kannst.«
    Sie lachte schrill und beunruhigend auf. »Der Auslöser ist sehr lebendig. Meinst du, ich sollte ihn einfach erledigen?«
    »Mach keine Witze darüber.«
    Sie wandte sich ab. »Ich nehme an, ich habe mich nicht sehr bemüht, am Leben zu bleiben. Ich bin unnötige Risiken eingegangen. Bin in den Verkehr hineingefahren. Ich habe vom Dach des Hauses hinuntergeschaut und mich über das Geländer gebeugt und …«
    »Was?«
    Ihre Augen glitzerten, als sie ihn ansah, ihr Gesicht war angespannt. »Kannst du mir helfen, meine Tochter zurückzubekommen? Kannst du mir helfen, Sophie zu bekommen?«
    Tom trank einen Schluck Tee und stellte die Tasse behutsam auf den Tisch. »Das ist keine Frage, die du deinem Trainer stellen solltest.«
    Sie strich ihm mit den Fingerspitzen über das Handgelenk. »Ich frage dich nicht als Trainer, Tom.«
    Er kämpfte gegen den freudigen Schauer, der seine Nerven durchzuckte, bis zur Wirbelsäule vordrang und durch die komplizierte Matrix seines zentralen Nervensystems in einen scharfen Schmerz verwandelt wurde, der nicht von Sehnsucht zu unterscheiden war.
    Er zögerte und zog dann behutsam den Arm weg.
    »Als dein Freund sage ich dir, dass du erst wieder klar denken kannst, wenn du das hier

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