Goldbrokat
höflich und unterdrückte seine Erheiterung, als der verlegen eine Entschuldigung murmelte.
Diesmal gelang es ihm, die kleine Schwalbe in die Luft zu entlassen, und in der steifen Brise tänzelte sie nun an ihren dünnen Leinen hoch über ihm im Blau. Dem freundlichen Helfer drückte er ein paar Münzen in die Hand, die dieser mit weiteren Verbeugungen entgegennahm. Dann widmete er sich wieder seinem eigenwilligen Fluggerät. Er hatte bald ein gutes Gefühl dafür entwickelt, wie es sich verhielt, wie es auf den Wind, den Zug der Leinen, seine Bewegungen auf dem Feld reagierte. Mit leichter Belustigung zog er den Vergleich zu seinen qi -Übungen, bei denen er ebenfalls Fäden zu ziehen, zu straffen oder zu lösen hatte.
Und als er das erkannte, verbesserte sich seine Handhabung des Drachens so weit, dass er dem plötzlichen Angriff eines großen, mit einem von Zähnen starrenden Ungeheuergebiss bemalten Drachen durch einen kleinen Ruck ausweichen konnte. Doch kaum wähnte er sich in Sicherheit, kam die nächste Attacke. Wieder konnte er ausweichen. Mit einem schnellen Umschauen versuchte er den Besitzer des Untiers ausfindig zu machen, aber schon wieder wurde seine kleine Schwalbe angegriffen. Er ließ etwas Leine schießen, sodass sie Höhe gewann. Der andere stieg ebenfalls, versuchte, seine Führungsleine zu kreuzen. Er machte
einige Seitwärtsschritte, um zu entkommen, und holte Leine ein. Mit einer flinken Wendung entwischte die Schwalbe. Von oben herab stürzte der rote Drachen wieder auf sie.
Eine ganze Weile tobte der Luftkampf auf diese Weise – der Große griff an, die kleine Schwalbe wich aus.
»Die Zeit des Handelns ist gekommen«, riet ihm plötzlich seine innere Stimme. Er fragte nicht, wie, sondern ließ seinen Instinkt reagieren. Die Leine zischte durch seine Hände und verursachte ein leichtes Brennen. Dann war die Schwalbe hochgestiegen, nutzte einen unsichtbaren Windstoß aus und schoss auf den langen Schwanz des Ungeheuers nieder. Das schien mit einem derartigen Manöver nicht gerechnet zu haben und bewegte sich ruckartig nach links. Die Schwalbe stieg, vollführte eine Kapriole und raste seitlich auf den Feind. Der wich aus, wurde nochmals von links attackiert und verlor Höhe. Die Schwalbe erhob sich und blieb ruhig über ihm in der Luft stehen. Der Drachen taumelte, sein Schwanz touchierte den Wipfel eines Baumes – er stürzte ab.
Er spürte mehr Bedauern als Freude über den Sieg, und daher ließ er das restliche Stück Leine ebenfalls aus den Händen gleiten und beobachtete, wie seine kleine Freundin sich höher und höher in den Himmel erhob.
Unter dem Baum, in dem der rote Drachen hing, stand ein junger Mann und blickte traurig nach oben. Dann aber, als er seiner ansichtig wurde, verbeugte er sich.
Er erwiderte die respektvolle Geste und wandte sich dem Marktplatz wieder zu. Drachenkampf machte hungrig, und einige Reiskuchen stillten das Verlangen seines Magens. Die Zeremonien im Tempel hatten inzwischen ihr Ende gefunden, aber noch immer kamen zahlreiche Frauen, um der Göttin zu huldigen. Kauend beobachtete er sie und erfreute sich an den hübschen Mädchen in ihren bestickten Kleidern, den seidigen, schwarzen Haaren und den anmutigen Bewegungen. Die vornehmen Damen ließen sich die Füße einbinden, das hatte er mit einem gewissen Entsetzen zur Kenntnis genommen, aber dies
hier waren Bauernmädchen, Seidenspinnerinnen und Stickerinnen. Sie brauchten ihre Füße, um im Leben zu stehen.
Eine Gruppe junger Frauen auf dem Weg zum Tempel kam nahe an ihm vorbei, und er spürte ihre überraschten Blicke. Den Grund entdeckte er, als eine Dame in einem grünen Qipao, dem langen, seitlich geschlossenen Seidengewand, zu ihm trat. Er hatte sie bisher nur in ihrer weißen Arbeitskleidung gesehen und beinahe nicht erkannt. Nun aber machte er eine tiefe Verbeugung vor der Tsun Mou . Sie nickte hoheitsvoll und winkte ihm, ihr zu folgen.
Den Tempel hätte er von sich aus nicht besucht, so wie er auch die Gebetshalle im Kloster nie betreten hatte. Er achtete die heiligen Stätten der Chinesen. Nun aber hatte er die Erlaubnis erhalten, und erfreut schloss er sich der Gruppe an. Die Tsun Mou bedeutete ihm, sich im Hintergrund zu halten, und so beobachtete er aus einer schattigen Ecke heraus, wie die Seidenarbeiterinnen der Figur einer schlanken, schönen Frau in fließenden Gewändern Weihrauch, Blumen, Reiskuchen und Reiswein opferten.
»Sie tragen Beutelchen mit Seidenspinnereiern in ihre
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