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Goldbrokat

Titel: Goldbrokat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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erhalten.
    Systematisch bürstete ich vor dem Herd die Flechten aus und lockerte die trocknenden Haare dann mit den Fingern. Sowie Bette fort war, würde ich mich wieder über mein Musterbuch hermachen. Oder ein paar neue Entwürfe für herbstliche Kleider anfertigen. Der schöne, goldbraune Stoff wartete noch auf eine wirklich spektakuläre Kreation.
     
    Eine Stunde später hatte Bette sich verabschiedet, und ich drapierte Seidenbahnen um die Schneiderpuppe im Anprobenraum. Es ging mir nicht gut von der Hand, und ich war für die Unterbrechung durch den Briefträger ganz dankbar. Er brachte mir ein Schreiben von Dufour, der nicht nur meine neuesten Bestellungen bestätigte und mir die Lieferungen von diversen Posten Seidenstoffen bis Ende des Monats zusagte, sondern mir auch einen kleinen Klatsch über Charnay zutrug. Monsieur Dufour hatte sich tatsächlich über den Seidenzüchter echauffiert
und seinen Bekannten dessen unrühmliches Verhalten während des Weberaufstands kolportiert. Wenn Charnay nach Lyon zurückkehrte, würde er mit beträchtlicher Kühle empfangen werden. Außerdem schien es wohl so, dass seine Seidenzucht, die bislang noch ganz ertragreich gewesen war, auch von der Raupenseuche heimgesucht wurde. Man munkelte, so schrieb Dufour, dass er sich in einige finanzielle Schwierigkeiten hineinmanövriert habe und sein Gut hoch mit Hypotheken belastet sei.
    Ich maß dem nicht viel Bedeutung bei. Der Tratsch und Skandal würde abklingen, und da ich dem Mann nicht gerade Glück wünschte, sollte er ruhig mit seinen finanziellen Engpässen leben. Ich musste es ja auch.
    Ich legte den Brief auf den Tisch und versuchte einen neuen Faltenwurf mit dem störrischen Stoff. Wieder wurde er nicht das, was ich mir vorstellte, und wieder ging die Türglocke.
    Diesmal war es ein atemloser Junge, der vor der Tür stand.
    »Frau Kusan? Sind Sie Frau Ariane Kusan, gnädige Frau?«
    »Ja, das bin ich. Hast du eine Botschaft für mich?«
    »Ja, gnädige Frau. Gnädige Frau möchte bitte sogleich ins Bürgerhospital kommen. Frau Wever bittet darum, gnädige Frau. Sie hat die Droschke geschickt.«
    LouLou – Nona. Ich ahnte das Schlimmste. Eilig zog ich mir die Straßenschuhe an, nahm mein Retikül und einen Umhang und trat auf die Straße. Der Junge hielt mir den Schlag auf, und ich stieg in das Gefährt. Es saß bereits jemand darin, und bevor ich mein Erstaunen äußern konnte, traf mich etwas Hartes schmerzhaft an der Schläfe.
     
    Als ich wieder zu mir kam, war es dunkel um mich herum. Mein Kopf tat weh, ich lag auf einem harten, kalten Boden, und je mehr ich meiner selbst bewusst wurde, desto mehr steigerte sich auch mein Entsetzen. Meine Hände waren auf meinem Rücken gefesselt, mein Mund mit einem Tuch zugebunden. Mein rechtes Knie und meine rechte Schulter taten weh, allerdings
nicht so stark wie mein Kopf. Der aber fühlte sich anders an, und warum, das merkte ich, als ich ihn vorsichtig bewegte.
    Meine Haare waren fort.
    Es fielen nur noch kurze Locken um meinen Nacken und meine Wangen.
    Jemand hatte mir die Haare abgeschnitten.
    Das war doch absurd!
    Ganz langsam richtete ich mich auf und versuchte, irgendeinen Anhaltspunkt in dem finsteren Gelass zu finden. Der Boden schien aus festem Lehm zu bestehen, was auf einen Keller schließen ließ. Ja, ein Keller. Ich hörte ganz schwach Räderrollen weiter oben. Keller hatten aber Fenster, meist schmale Luken unterhalb der Decke. Ich suchte mit meinen Augen, die sich allmählich an die Dunkelheit gewöhnten, die Region über mir ab. Richtig, es gab eine Öffnung. Ein winziger Lichtstreif bildete sich an der Wand mir gegenüber. Man hatte etwas davor gestellt, sodass ich nicht erkennen konnte, was draußen vor sich ging. Ich hätte zu gern die Umgebung abgetastet, aber meine Hände bekam ich aus den festen Stoffstreifen nicht heraus. Mit dem Fuß stieß ich gegen ein Hindernis, Holz, vielleicht ein Fass. Ich ließ mich daneben wieder auf den Boden sinken, die Augen noch immer auf den kleinen Hoffnungsschimmer gerichtet.
    Jemand hatte mich entführt.
    Am helllichten Tag, direkt aus meiner Wohnung.
    Die Erkenntnis dämmerte mir langsam, denn noch tobte der Schmerz in meinem Kopf. Aber sie kam unerbittlich.
    Wer immer meine Kinder in das Spukhaus gelockt hatte, hatte mich jetzt erwischt.
    Warum? Wem konnte ich etwas nützen?
    Oder war es eine persönliche Abrechnung? Wen hatte ich derart verärgert, dass er mir einen solchen Streich spielen musste?
    Helene? Sollte sie

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