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Goldbrokat

Titel: Goldbrokat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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Misstrauen geweckt, auch wenn er nicht recht festmachen konnte, woran es lag. Aber er hatte schon immer recht gut seinem Instinkt für Gefahren vertrauen können. Ein Erbe Servatius’, nahm er an.
    Er würde sich nachher mit ihr in Ruhe unterhalten. Es war jetzt halb elf; in einer halben Stunde, so plante er, würde er mit George Liu an ihrer Tür stehen und ihr einen weiteren Teil seiner Vergangenheit präsentieren. Der Junge war tatsächlich gespannt darauf, Ariane kennenzulernen. Nun ja, er hatte
viel über sie gehört während seiner Suche nach ihr. Auch da aber gab es noch Regelungen zu treffen. Bislang konnte sich George als sein nächster Verwandter betrachten, was ihn nach den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit zu seinem Nachfolger und Erben gemacht hätte. Doch nun war er mit Philipps Existenz konfrontiert worden, seinem leiblichen Sohn. Drago hatte vor, Georges Erwartungen herauszufinden, mit ihm über seine Zukunft zu sprechen und seine Pläne und Wünsche mit in Betracht zu ziehen.
    Aber im Augenblick war es noch zu früh dafür.
     
    Pünktlich um elf standen sie vor der Tür des Ateliers und hörten drinnen die Türglocke anschlagen.
    Niemand öffnete.
    Er läutete noch dreimal, dann sagte er zu George: »Möglicherweise ist sie zum Bürgerhospital gegangen, um ihrer Freundin beizustehen. Komm mit, dann lernst du auch diese Institution kennen.«
    Gutwillig wie immer schloss sich George an, und auf dem Weg zur Cäcilienstraße erklärte Drago ihm, welche Bedeutung das Hospital für die medizinische Betreuung der Städter darstellte. Mit seinem höflich-beharrlichen Auftreten gelang es ihm dort auch bald, einen kompetenten Arzt zu sprechen, und was er hörte, erschütterte ihn. Nona war in den Morgenstunden ihren Verletzungen erlegen, Frau Wever nach Hause gebracht worden. Ariane jedoch hatte man nicht gesehen.
    »Die TaiTai wird bei ihrer Freundin sein, mit ihr klagen«, meinte George, der zwar die beiden Frauen nicht kannte, aber die üblichen Verhaltensweisen richtig deutete.
    »Damit wirst du recht haben. Besuchen wir also Frau Wever. Oder möchtest du ins Hotel zurückkehren?«
    »Ich komme mit.«
    Auch in der Schildergasse standen sie vor verschlossenen Türen.
    Allmählich begann Drago sich Sorgen zu machen. Sie kehrten
zur Zeughausstraße zurück, um noch einmal ihr Glück im Atelier zu versuchen.
    Wieder reagierte niemand auf ihr Läuten.
    »George, wirst du mir bitte einen Gefallen tun?«
    »Sicher, Cousin Drago.Was soll ich machen?«
    »Ich möchte nicht bei der Tante der TaiTai vorsprechen. Sie ist ein einfältiges Huhn, nach allem, was ich hörte, und mein Aufstieg aus dem Grabe würde ihr nur Vapeurs bescheren.«
    »Vapeurs?«
    »Blähungen. Aber ich muss wissen, ob Ariane sich bei ihr aufhält. Am besten fragst du Hannah nach ihr. Sie holt mittags meine Tochter Laura aus der Schule ab. Sieh zu, dass du sie vor der Haustür erwischst. Dich kennt sie ja inzwischen.«
    Georges stets unbewegtes Gesicht bekam einen Anhauch von Röte.
    »Aber wenn sie mir nichts sagen will? Ich habe erst einmal im Park mit ihr gesprochen.«
    »Dann wendest du dich an Laura und sagst ihr, dass ich dich schicke. Das Mädchen vertraut mir, denke ich.«
    »Ich versuche es.«
    »Anschließend kommst du zurück ins Hotel. Dort findest du mich oder eine Nachricht von mir.«
    Als George die Straße hinunter verschwunden war, begab Drago sich zur Hofeinfahrt. Seine Bedenken hatten sich so stark vermehrt, dass er keinen Versuch unterlassen wollte.Von Nona hatte er vor einigen Tagen den Schlüssel zur Hintertür erhalten – und bereits einmal benutzt... Er sperrte den Eingang auf, der in Arianes Küche führte. Sie wirkte aufgeräumt und sauber. Er rief ihren Namen, bekam aber, wie erwartet, keine Antwort. Rasch durchquerte er die restlichen Räume und blieb im Anprobenraum stehen. Hier hatte sie noch bis vor Kurzem gearbeitet. Die lange Stoffbahn hing nachlässig über die Schneiderpuppe drapiert, ein Nadelkissen lag auf dem Boden davor, einige Skizzenblätter auf dem Sessel daneben. Es wirkte, als sei sie mitten in der Arbeit aufgebrochen. Das wiederum ließ auf
eine dringende Nachricht oder einen Hilferuf schließen. Aber warum war sie dann weder im Hospital noch bei LouLou?
    Er sah sich um. Hatte sie von jemand anderem ein Billett bekommen, das sie zu einem überstürzten Aufbruch veranlasste?
    Das Schreiben auf dem Tisch mochte die Antwort enthalten.
    Er nahm es auf und las die ersten Zeilen. Französisch war ihm nicht

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