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Goldbrokat

Titel: Goldbrokat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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besonders geläufig, und er wollte schon aufgeben, nachdem er die Stoffbezeichnungen entziffert hatte, da fiel sein Blick auf den Namen Charnay.
    Worte wie scandale, maladie, soie, hypothèque und ruine financière verstand er, das Weitere konnte er sinngemäß deuten.
    Die Raupenkrankheit hatte Charnays Gut erreicht, er hatte sich finanziell übernommen und stand jetzt vor dem Ruin.
    Nur – was hatte das mit Arianes Verschwinden zu tun?
    Er steckte den Brief ein und verließ das Atelier durch die Hintertür, wie er hineingekommen war, um zum Hotel zurückzukehren. Möglicherweise hatte George ja Nachricht, dass Ariane bei ihrer Tante und den Kindern war.
     
    Er wurde enttäuscht. George hatte zwar freundliche Antwort von Hannah erhalten, aber Ariane hatte sich in der Obermarspforte nicht blicken lassen.
    Da es um die Mittagszeit war, zwang er sich dazu, einen Imbiss einzunehmen und dabei weitere Möglichkeiten zu durchdenken. Ariane hatte eine Reihe von Bekannten, allen voran die Waldeggs. Und sie hatte einen Verlobten.
    Verdammt, dass er daran nicht gedacht hatte.
    Er war grob zu ihr gewesen gestern Abend. Was, wenn sie kurz entschlossen nach Mülheim aufgebrochen war, um Trost bei dem Seidenfabrikanten zu finden? Ein Stich von Eifersucht durchfuhr ihn. Wever mochte ein Stockfisch sein, aber er war ein verantwortungsvoller Mann. Außerdem war er LouLous Bruder.
    Er musste es schnellstmöglich herausfinden. Und die schnellste Lösung war der Telegraph!

    Und Waldegg, denn der hatte Beziehungen, möglicherweise auch zum Militär, das den Telegraphen bediente.
    Er wollte sich gerade auf den Weg machen, als ein Hoteldiener mit einer eiligen Nachricht zu ihm kam.
    »Ein Herr Wever wünscht Sie zu sprechen, Herr Kusan. Er wartet im Foyer auf Sie. Er bittet Sie dringend...«
    »Schicken Sie ihn sofort hoch zu mir!«, befahl er.
    Seine bösen Ahnungen verdichteten sich.
    Gernot Wever trat in den Raum, und sein Anblick erschreckte Drago. Der Mann sah geradezu verstört aus.
    »Herr Kusan, wo ist Ariane?«, platzte er ohne Umschweife heraus.
    »Das, Wever, versuche ich seit heute Vormittag selbst herauszufinden.«
    Schwankend zwischen Erleichterung auf der einen und wachsender Angst auf der anderen Seite gab er dem Fabrikanten eine kurze Zusammenfassung der Ereignisse vom Vorabend und seiner Erkundigungen.
    »Mein Gott, LouLous Theater! Aber trotzdem – alles das ist weniger schrecklich als dieses hier.«
    Er holte aus seiner Tasche ein Leinenbündel und einen Brief. Als Drago den Stoff auseinanderfaltete, schimmerte ihm wie ein goldener Seidenstrang ein Zopf entgegen.
    Ihm wurde eisigkalt. Mit bebenden Fingern strich er über die Haare, und für einen kleinen Augenblick ließ er das namenlose Entsetzen zu. Dann besann er sich darauf zu atmen. Kraft brauchte er.Viel mehr Kraft. So viel Kraft, dass er den Brief lesen konnte.
    Arianes Schrift, der Text diktiert von einem »wohlmeinenden Freund«. Eine Lösegeldforderung in erheblicher Höhe, zu übergeben morgen Nachmittag um fünf Uhr. Ort und Bedingungen waren exakt geschildert.
    »Bei Nichteinhalten des Termins wird Dir mein linker Daumen zugesandt«, schloss das Schreiben.
    Sie hatte noch nicht einmal gezittert, seine kleine Tigerin. Oder doch nur ganz wenig. Ein kleiner Tintenspritzer war das
einzige Zeichen dafür, in welcher Verfassung sie sich befinden mochte.
    Aber die verschiedenen kleinen Hinweise, die er gesammelt hatte, verdichteten sich in diesem Moment zu einem fertigen Bild. Er sah auf und blickte in Wevers bleiches Gesicht.
    »Ist Charnay in der Stadt?«
    »Ja, er sprach am Freitag bei mir vor.Warum?«
    »Dann ist das sein Werk.«
    »Unmöglich, Kusan. Er ist ein respektabler Geschäftsmann.«
    »Falsch. Er ist ein Verbrecher und befindet sich am Rande des Wahnsinns.«
    Und er erklärte ihm, was er wusste.
    »Was tun wir?«, war Gernots Frage, nachdem er sich gefasst hatte.
    »Wir finden sie, bevor die Frist abgelaufen ist. Sollte das nicht möglich sein, stelle ich das Geld bereit. Aber ich bezweifle, dass Charnay sie gehen lässt. Darum ist es besser, wir befreien sie so schnell wie möglich.«
    »Haben Sie denn überhaupt eine Ahnung, wo er sie gefangen hält?«
    »Noch nicht. Aber bald. Ich vermute, das Feuer im Theater geht auch auf seine Rechnung.Wir müssen von Ihrer Schwester erfahren, wer sie erpresst hat.«
    »Was?«
    »Sie war zu Schutzgeldzahlungen gezwungen, wenn ich das den Andeutungen richtig entnommen habe, die Ariane nach dem Brand gemacht

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