Goldbrokat
so sehr übergeschnappt sein, dass sie zu derartigen Mitteln griff?
Drago? Was hatte er für Maßnahmen gemeint, die er einleiten wollte?
Beides schien mir völlig unwahrscheinlich.
Ich schloss die Augen und lehnte meinen Kopf an das Fass, um irgendwie Ordnung in meine Gedanken zu bekommen. Langsam, langsam, sagte ich mir.
Der Junge hatte gesagt, LouLou im Bürgerhospital habe nach mir geschickt. Eine Finte, natürlich. Und zwar von dem Mann in der Droschke oder seinem Auftraggeber. Der also wusste, dass ich mit LouLou befreundet war und dass sie sich bei Nona im Hospital aufhielt. Das schränkte sowieso die Gruppe derer ein, die für die Tat in Frage kamen. Helene gehörte ganz bestimmt nicht dazu. Drago schon. Aber warum? Was immer er von mir wollte, hätte er auf andere Weise erbitten, fordern oder einklagen können. Wollte er mir eine Lektion erteilen? Wegen meiner Eigensucht?
Aber, Herr im Himmel, er würde mir doch nicht die Haare abschneiden.
LouLou im Bürgerhospital – es musste jemand sein, der gestern den Brand und seine Folgen beobachtet hatte.
Und nun übermannte mich das Grauen beinahe.
Das Feuer war nicht zufällig ausgebrochen.
Und derjenige, der es gelegt hat, hatte nun mich in seine Hand bekommen.
Was war mit LouLou? Sie hatte von Problemen gesprochen.
Wer hatte ihr Probleme gemacht? Welcher Art?
LouLou, Nona und ich – wir waren das Ziel desjenigen, der für diese Sache verantwortlich war.
Und als die Tür aufging und Charnay eintrat, war ich nicht mehr besonders überrascht, ihn zu sehen.
Gebrochene Seide
Und das eigene Todesgeschick erwog ich;
Trockenen Augs noch erst,
Bis da ich dein, o Sappho, dachte,
Und der Freundinnen all,
Und anmutiger Musenkunst:
Gleich da quollen die Tränen mir.
Eduard Mörike, Erinna an Sappho
Durch das weit geöffnete Fenster strömte feuchtkalte Oktoberluft in das Hotelzimmer. Drago atmete sie tief ein und absolvierte konzentriert seine qi -Übungen. Sie halfen ihm, seine Gedanken und Gefühle zu ordnen, die sich in nicht unbeträchtlichen Turbulenzen befanden. Die Begegnung mit Ariane und den Kindern hatten ihn weit mehr aufgewühlt, als er je geglaubt hatte. Die tragischen Ereignisse der letzten Tage hingegen gaben ihm reichlich zu denken.
Deshalb hatte er schon am frühen Vormittag einige Schritte unternommen, um möglichen Verwicklungen vorzubeugen. Zum einen hatte er einen Makler beauftragt, ihm ein möbliertes Haus für mindestens ein halbes Jahr zu mieten. Ariane würde vermutlich zunächst Einwände haben, aber er wollte sie bei sich haben. Auf welche Weise er dabei vorzugehen hatte, würde sich dann erweisen, wenn es notwendig war, darüber dachte er jetzt noch nicht nach. Er war auch bereits im Gymnasium gewesen und hatte den Schulleiter aufgesucht. Diese rückgratlose Taubnessel hatte sich zunächst geweigert, ihn zu empfangen, dann aber schnell eingesehen, dass man Drago Kusan nicht so leicht loswurde. Die hochnäsigen Lausbuben erhielten
jetzt einen strengen Verweis, Philipps Tadel würde gelöscht werden. Das Ganze aber erinnerte ihn daran, dass er Alexander Masters noch einmal danken musste, dass er seinem Sohn den Weg in diese Schule eröffnet hatte. Was wiederum bedeutete, dass er seine Familienbande offenlegen musste. Aber Masters hatte er als verständigen Mann kennengelernt, und wenn es nach ihm ginge, würde Ariane ihren Witwenstatus ohnehin nicht mehr lange aufrechterhalten.
Sie war so hübsch geworden.
Als er sie verlassen hatte, war sie gerade zwanzig Jahre alt gewesen, ein lebhaftes Mädchen, heiter, übermütig und natürlich. Manchmal sogar ein wenig burschikos.
Heute fand er in ihr eine elegante junge Frau, deren Bewegungen anmutig und beherrscht waren. Das mochte zum einen an ihrer Schneidertätigkeit liegen. Sie konnte Lauras unordentliches Kleid mit wenigen Griffen in Form zupfen, ohne dass das Mädchen es überhaupt bemerkte. Aber sie war auch ruhiger geworden, hielt ihre Gefühle besser als damals unter Kontrolle. Außer wenn sie sich sehr ärgerte. Leanders Schilderung ihrer frechen Reime hatten ihn höchlichst amüsiert.
Ja, sie hatte an Ausstrahlung gewonnen. Und ja, sie zog ihn unendlich an. So sehr, dass er sich am Abend zuvor geradezu mit Gewalt hatte zwingen müssen, schroff zu ihr zu sein. Aber er wollte sie nicht mit seinen unguten Ahnungen belasten, sondern erst Vorsorge treffen, dass ihr und den Kindern nichts zustieße. Diese Entführung und jetzt der Brand bei ihrer Freundin hatten sein
Weitere Kostenlose Bücher