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Goldbrokat

Titel: Goldbrokat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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ganz so deutlich hervor, wenn er sich morgens mit dem kalten Wasser übergoss. Er nahm, wenn auch nur in geringem Maße, an der Klostergesellschaft teil und setzte sich bei den Mahlzeiten zu den Mönchen.
    Das Essen war ungewohnt, obgleich er auch zuvor die chinesischen Leckerbissen schon gekostet hatte. Hier aber wurde auf jegliche Form von Fleisch verzichtet, denn die buddhistische Regel verbat es, jene Wesen zu essen, deren Tod man verursacht hatte.
    Aber die süß-sauer eingelegten Ingwerscheiben und Rettiche, die verschiedenen gedünsteten oder in Teig ausgebackenen Gemüse mochte er inzwischen sogar sehr gerne. Reis, Nudeln, manchmal gebraten, schmeckten ihm ebenso wie der Bohnenquark, der mit scharfen oder salzigen Saucen mariniert oder in knuspriger Sesamkruste gebacken war. Nur den doppelt fermentierten Tofu, der einen sehr strengen Geruch entwickelte,
mied er geflissentlich und zog sich damit dann und wann einen gutmütigen Spott zu.
    Er hatte auch eine gewisse Ausdauer wiedergewonnen, und seine Wanderungen umfassten jetzt nicht nur das weitläufige Klostergelände, sondern auch die nähere Umgebung. Auf diese Weise war er in die Maulbeerhaine gelangt.
    Da sein Schlaf nicht besonders gut war, schlenderte er oft schon in der Morgendämmerung durch die jung belaubten Bäume und sah den schweigenden Arbeitern zu, die die Blätter ernteten, bevor der Tau sie befeuchtete.
    Anfangs hatte er sie wenig beachtet; er hatte sich auf seinen Atem konzentriert und war hier und da stehen geblieben, um einige der Übungen zu absolvieren, die man ihn gelehrt hatte. Es war ihm aufgefallen, dass die klare, kühle Morgenluft ihm besonders gut schmeckte.
    Niemand schien sich über den hochgewachsenen, schwarzbärtigen Europäer zu wundern, der in Kulihosen und einer gesteppten Jacke seines Weges ging.
    Doch dann war eines Morgens ein Junge mit einer vollbeladenen Kiepe vor ihm über eine Wurzel gestolpert, und die ganze Last an Blättern breitete sich über den Boden aus.
    Er beugte sich ohne nachzudenken vor, um dem schmächtigen Kerlchen aufzuhelfen, der ihn dafür mit großen, ängstlichen Augen ansah. Kaum dass er stand, machte er einige schnelle Verbeugungen und murmelte: »Danke, tai pan , danke.«
    »Nichts zu danken, Junge. Komm, ich helfe dir, die Blätter wieder einzusammeln.«
    »Nein, tai pan , die sind verdorben. Schmutzig.«
    Der Junge wollte sich von ihm zurückziehen, aber zum ersten Mal, seit er im Kloster aufgewacht war, hatte etwas seine Neugier an den Dingen der Außenwelt erregt. Darum machte er ebenfalls eine kleine höfliche Verbeugung und fragte:»Wärest du so freundlich, einem unwissenden Fremden zu erklären, wozu ihr die Blätter einsammelt?«
    Scheu verbeugte sich der kleine Bursche wieder und stotterte
ein wenig, sie seien für die Raupen. Dabei wies er mit der Hand auf die flachen Holzhäuser, die sich in einiger Entfernung befanden. Diese Auskunft irritierte ihn mehr, als sie ihn erhellte, und er fragte sich, ob er das Wort für Raupe richtig verstanden hatte. Aber da der Junge sich ganz offensichtlich unbehaglich fühlte, bedankte er sich nur noch einmal und setzte dann seinen Weg fort.
    Die Mönche hingegen konnten ihm weiterhelfen.
    »Ah, Euer Geist ist wieder wach geworden, baixi long . Ich will Euch Eure Fragen gerne beantworten«, hatte sein Lehrer der qi -Übungen gesagt. »Die kaiserliche Seidenmanufaktur in Suzhou verlangt die allerbeste Seide, baixi long . Und die wird hier angebaut. In den Häusern, die ihr gesehen habt, werden die Seidenwürmer mit den Blättern der Maulbeerbäume gefüttert.«
    »Ich habe mir nie Gedanken darüber gemacht, wie Seide entsteht. Ich werde diese Häuser morgen besuchen.«
    »Man wird Euch den Zutritt verweigern, baixi long . Nicht, weil Ihr ein Fremder seid, sondern weil nur Frauen zu den Seidenwürmern dürfen. Die Tsun Mou , die Raupenmutter, kümmert sich um die Fütterung, achtet darauf, dass die haarigen Raupen sich nicht verknäulen, und sondert, wenn nötig, kranke Tiere aus. Sie sind sehr empfindlich gegen starke Gerüche, Erschütterungen und laute Geräusche, darum sind diese ausgewählten Frauen auch gehalten, sich nicht zu parfümieren, nur leise zu sprechen und sich vorsichtig zu bewegen.Versteht Ihr, ein unwissender Gast kann die Qualität der Seide mindern.«
    »Ja, ich verstehe. Ich werde mich von den Häusern fernhalten. Aber vielleicht … vielleicht kann ich bei der Blätterernte helfen. Ich habe das Bedürfnis, eine Arbeit zu

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