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Goldbrokat

Titel: Goldbrokat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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Zeitung steht, die Vertreter Englands und Frankreichs hätten Noten nach Peking gerichtet. Lord Elgin und Baron Gros haben aber in Schanghai keine Antwort erhalten. Im April sind sie nach Dagukou aufgebrochen, um dort mit den chinesischen Kommissaren die Bedingungen der neuen Verträge festzulegen.«
    »Mhm.«
    »Es ist ein Handelsschiff aus England eingetroffen, das Maschinenteile für zwei Dampfmaschinen an Bord hat.«
    »Mhm.«
    »Euer Haus ist gerichtet, wann immer Ihr dort einziehen möchtet, tai pan .«
    »Mhm.«
    Diese Aussage aber weckte eine Frage in ihm, die er eigentlich schon viel früher hätte stellen sollen.
    »George, wieso bin ich eigentlich in diesem Kloster gelandet?«
    George Liu wirkte unglücklich und wand seine Finger umeinander. Stockend kam seine Antwort: »Tianmei, sie fand Euch und Ai Ling. Sie rief die Mönche um Hilfe, und als die noch Leben in Euch entdeckten, trugen sie Euch auf den Berg.«
    »Warum?«
    »Um Euch zu retten, tai pan .«
    »Ich bin nun wieder kräftig genug, also sollte ich verschwinden, meinst du?«
    »Nein, tai pan .Wenn Ihr Euch hier glücklich fühlt, dann bleibt. Ihr könnt im Kloster wohnen, so lange Ihr wollt. Ihr werdet hier immer Gastrecht haben.«

    »Warum das, George? Ich habe mit den Mönchen nie etwas zu tun gehabt.«
    »Ihr nicht, aber mein Vater, Euer Pate.«
    »Servatius?«
    »Ja.« Und dann sah der junge Mann, der auf irgendeine verwinkelte Weise sein Neffe war, ihn mit schmerzlich verzerrtem Gesicht an. »Ihr wisst nicht, wie er starb, nicht wahr?«
    »Nur, dass er in einem Taifun umgekommen ist.«
    »Ja, in einem Taifun. Ich will es Euch berichten, wenn Ihr Euch stark genug fühlt, es zu ertragen.«
    »Sprich, mein Junge.«
    »Es war ein gewaltiger Sturm damals, und es hatte schon wochenlang vorher geregnet, tai pan . Die Flüsse waren über die Ufer getreten, die Hügel aufgeweicht. Der Taifun aber brachte das größte Unglück. Mein Vater hielt sich hier auf, hatte meine Mutter besucht. Das Wasser stieg so schnell, dass das Dorf abgeschnitten wurde und unterzugehen drohte. Er half einer ganzen Anzahl von Bewohnern, sich zu retten. Fünf Mönche, die sich bei ihnen aufhielten, waren die Letzten, die er mit seinem Boot in Sicherheit bringen wollte. Doch das Boot war zu klein, es drohte zu kentern. So sprang er ins Wasser und wollte sich schwimmend retten. Er hätte es auch fast geschafft, wäre der Hang nicht ins Rutschen geraten. Die Flutwelle riss ihn mit. Die Mönche aber erreichten das Ufer.«
    Still saß er da und blickte über den Bach, der an dieser Stelle in einem kleinen Gefälle über die rund gewaschenen Kiesel sprudelte.
    »Als ich – krank war, sah ich einst sein Gesicht unter Wasser«, murmelte er.
    George Liu hatte den Kopf gesenkt. Mit trauriger Stimme sagte er: »Ich habe eine alte Wunde wieder aufgerissen. Verzeiht.«
    »Es gibt nichts zu verzeihen, George. Die Wunde war nie verheilt. Das habe ich inzwischen erkannt. Aber lass mich nun alleine.«

    Mit stummen Verbeugungen verabschiedete sich der junge Halbchinese, und er sah weiter den quirligen Wassern zu, die um die glatten Trittsteine schäumten.
    Mehr als eine Wunde war nicht verheilt, aber er hatte sie immer versucht zu ignorieren. Vielleicht war es an der Zeit, sich dem Schmerz zu stellen.
    Servatius hatte ihm immer mehr bedeutet als sein leiblicher Vater. Die beiden Männer hätten unterschiedlicher nicht sein können. Der eine pflichtbewusst und auf das Einhalten der Traditionen und Formen bedacht, der andere ein Rebell, ein Abenteurer, ein Glücksritter. Natürlich hatten Ignaz und er ihn als Jungen bewundert, atemlos seinen Geschichten gelauscht, mit bei seinen Erzählungen über die Erlebnisse auf den Handelsreisen in exotische Gebiete mitgefiebert, ihn mit Tausenden von Fragen malträtiert und sich selbst kühnste Wagnisse ausgemalt, die es zu bewältigen galt.
    Er war ihr Held.
    Und als er sie einlud, eine Reise in den Orient mit ihm zu unternehmen, da waren er und sein siebzehnjähriger Bruder Feuer und Flamme. Ihr Vater war strikt dagegen gewesen.
    Servatius setzte sich gegen dessen Widerstand durch, sie erlebten eine überwältigende Fahrt, doch als sie im April 1834 wieder in Frankreich ankamen und in Lyon bei Servatius’ dortigem Geschäftspartner die Waren einlagerten, gerieten sie mitten in den zum zweiten Mal auflodernden Weberaufstand. In den gewalttätigen Unruhen geriet das Lagerhaus in Brand, in den Flammen kam Ignaz um.
    Gebrochen vor Trauer und Schmerz

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