Goldfinger
langsam, aber wir kommen. Glauben Sie wirklich, in Rußland sicher zu sein? Wir haben auch von dort schon Leute herausgeholt.«
9
Hoch über der weiten, mondbeleuchteten Wolkenlandschaft dröhnte die Maschine dahin. Die Lichter waren gelöscht, und Bond saß ruhig in der Finsternis, schwitzend bei dem Gedanken an das, was er zu tun vorhatte.
Vor einer Stunde hatte das Mädchen ihm sein Dinner gebracht. In der Serviette war ein Bleistift verborgen gewesen. Nach ein paar kessen Bemerkungen für Faktos Ohren war sie gegangen. Bond hatte einige Bissen gegessen und ziemlich viel Whisky getrunken, wobei seine Phantasie fieberhaft nach einer Gelegenheit suchte, eine Notlandung in Gander oder sonstwo in Neuschottland zu erzwingen. Sollte er als letzten Ausweg Feuer legen? Oder den Einstieg aufreißen? Beides schien undurchführbar und selbstmörderisch.
Einer von Goldfingers Helfern, derselbe, den Bond vom Kartenschalter her kannte, ersparte ihm weiteres Kopfzerbrechen. Er kam heran und grinste zu Bond hinunter: »BOAC betreut Sie gut, nicht? Mr. Goldfinger meint, Sie könnten auf schlechte Gedanken kommen, und da soll ich Sie im Auge behalten. Also lehnen Sie sich nur zurück und genießen Sie den Flug, ja?«
Bond nahm keine Notiz von ihm, und der Kerl ging nach hinten.
Irgend etwas ging Bond im Kopf herum, es hing mit dem Aufreißen der Tür zusammen! Wie war das doch damals, 1957, mit dem Flugzeug über Persien gewesen? Bond saß und starrte abwesend auf die Lehne des Vordersitzes. Ja - so könnte es gehen! Das war denkbar! Er schrieb innen auf die Serviette: »Ich tue mein Bestes. Schnall dich fest. XXX. J.«
Als das Mädchen das Tablett holen kam, ließ Bond die Serviette fallen, hob sie auf und reichte sie ihr. Dabei hielt er ihre Hand fest und lächelte in ihre forschenden Augen. Während sie sich nach dem Tablett bückte, küßte sie ihn rasch auf die Wange und sagte ironisch im Weggehen: »Ich werd’ von dir träumen, Süßer!« Dann verschwand sie im Anrichteraum.
Bald danach hatte sich Bond entschlossen, wie er vorgehen würde. Er hatte alles überlegt. Das Messer aus dem Schuh steckte unter seiner Jacke, das längere Ende des Sicherheitsgurts schlang sich fest um sein linkes Handgelenk. Nun brauchte sich Fakto nur mehr vom Fenster abzuwenden. Daß er einschlief, war kaum zu erwarten, aber ein wenig bequem würde er sich’s schon machen. Bond ließ das im Vorderfenster sich undeutlich spiegelnde Profil nicht aus den Augen, aber Fakto saß weiter stur unter dem Leselicht, das er vorsorglich hatte brennen lassen, und starrte zur Decke, den Mund leicht offen und die Hände auf den Armlehnen in Bereitschaft.
Eine Stunde, zwei Stunden. Bond begann zu schnarchen, regelmäßig, schwer und, wie er hoffte, hypnotisch. Faktos Hände lagen jetzt im Schoß. Der Kopf sank ihm auf die Brust, wurde hochgerissen und blieb nun, in bequemerer Lage, vom Fenster abgewandt.
Bond achtete darauf, daß sein Schnarchen regelmäßig klang. Faktos Wachsamkeit war schwer zu täuschen - eher kam man an einer hungrigen Dogge vorbei. Zentimeterweise beugte Bond sich auf seine Fußballen vor und schob dabei die Hand mit dem Messer zwischen die Wand und Faktos Sitz. Jetzt war er dort! Jetzt zielte die nadelscharfe Dolchspitze mitten auf den Quadratzoll Plexiglas, den er treffen wollte! Bond umkrampfte das Ende seines Sicherheitsgurts, nahm den Dolch etwas zurück und stieß zu.
Er hatte keine Vorstellung von dem, was beim Durchstoßen des Fensters passieren würde. Aus den Zeitungsmeldungen über den Fall in Persien wußte er lediglich, daß es den am Fenster sitzenden Fluggast aus der Druckkabine gesaugt und in die Luft hinausgewirbelt hatte. Aber nun löste sein Dolchstoß ein so phantastisches Aufheulen, ja Aufbrüllen der Luft aus, nun wurde er mit solcher Gewalt gegen Faktos Sitzlehne gesaugt, daß es ihm den Gurt aus der Faust riß. Über die Rückenlehne hängend, war er Zeuge eines Wunders: Faktos Körper schien der heulenden, schwarzen Öffnung entgegenzuwachsen! Krachend fuhren Kopf und Schultern durch den Rahmen, und dann zog es den Koreaner langsam, stückweise wie Zahnpasta und mit schrecklichem Pfeifen hinaus in die Schwärze der Nacht. Schon war er bis zum Gürtel draußen, doch seine starken Hinterbacken blieben noch stecken. Aber dann gab es einen Knall, die Hinterbacken waren durchgerutscht und die Beine verschwunden wie aus der Pistole geschossen!
Dann ging die Welt unter. Zugleich mit dem entsetzlichen Zerklirren
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