Goldhort: Ein Mystery-Thriller (German Edition)
letzten Beweis für die Richtigkeit seiner Erinnerung gefunden. Dann blickte er mich nachdenklich an, trat auf mich zu und erklärte fast entschuldigend: „Du verstehst sicher, dass ich dich nicht gehen lassen kann.“ In seinen stumpfen grauen Augen sah ich Angst, aber vielleicht spiegelte sich darin auch nur meine eigene. Zögernd spielte er mit dem Messer in seiner Hand. Ich wusste, meine einzige Chance war, mit ihm zu reden und ihn zur Vernunft zu bringen, indem ich das Ungeheuerliche seiner Geschichte zu etwas für die menschliche Fantasie Erträglichem und Regelbarem machte. Doch dazu musste ich mich zusammenreißen und keine Zweifel oder Schwäche zeigen und das schien mir fast unmöglich.
„Willst du mich ebenfalls umbringen und mich zu Olga in die Kiste quetschen? Da ist nicht mehr viel Platz. Willst du mich ebenso vergessen, wie du Olga vergessen hast?“
Ich redete bewusst leicht spöttisch, um meine Befürchtungen zu verbergen, und hoffte, dass dies richtig auf der anderen Seite ankam.
Insbesondere der zweite Satz hatte anscheinend gesessen. Betroffen sah er mich an, jede Entschlossenheit und Stärke, die der Mut der Verzweiflung in ihm geweckt hatte, entwich aus ihm, wie die Luft aus einem Luftballon. Fast konnte ich dabei zuschauen, wie er vor mir in sich zusammensackte und zu schluchzen begann. „Olga...Olga...“, hörte ich und „Was soll ich denn tun?“
Beruhigend redete ich auf ihn ein. Es ist keine leichte Sache, jemandem das Gefängnis schmackhaft zu machen. Ich machte ihm Versprechungen, von denen ich keine Ahnung hatte, nur um meine Haut zu retten. Gleichzeitig hoffte ich, dass ich mit meiner positiven Vorausschau recht behalten würde. Diesem Häufchen Elend vor mir wünschte ich tatsächlich nichts Schlechtes, aber er musste die Sache hinter sich bringen, um sich davon zu befreien. Schließlich hatte ich ihn soweit, dass er bereit war, sich bei der Polizei selbst anzuzeigen, unter der Bedingung, dass ich für eine ordentliche Beerdigung Olgas sorgen und ihn regelmäßig in der Haft besuchen würde. Gemeinsam stiegen wir wieder die Treppen hinauf.
Zurück in der Wohnung war ich vorsichtshalber gleich als Erste an meiner Tasche und zog das Handy hervor, um mit Raik zu telefonieren und ihn zu bitten, hinauf zu kommen. Dann wählte ich den Polizeiruf und reichte das Telefon an Herrn Luchterhand weiter.
Nur wenige Zeit später wimmelte das Haus von Beamten, die im Keller und in der Wohnung von Herrn Luchterhand herumwühlten. Es dauerte mehrere Stunden, bis die Leiche endlich weggebracht werden konnte. Während dieser Zeit saß Herr Luchterhand zwischen mir und Raik, von zwei sehr forschen Beamten bewacht, die uns gleichzeitig zu der Geschichte befragten. Draußen war es inzwischen dunkel geworden und ich hatte jedes Zeitgefühl verloren. Alles, was geschah, zog wie zwischen Wolken an mir vorüber. Endlich brachen die Beamten auf und führten Klaus Luchterhand hinaus, der mir noch einmal einen Blick über die Schulter hinweg zuwarf, den ich wahrscheinlich mein Leben lang nicht mehr vergessen werde. Fast fühlte ich mich schuldig, obwohl nicht ich ein Verbrechen begangen hatte. Als er fort war, sackte ich zusammen und ließ meine aufgestauten Emotionen hinaus. Raik hielt mich wie ein Kind, bis ich meine Fassung wiedergewonnen hatte. Als ich die Wohnung verließ, entdeckte ich auf der Flurkommode eine zauberhaft milchig schimmernde Perle in Form eines altertümlich anmutenden Ohrrings. Verloren lag sie zwischen Zetteln, Kämmen und Geldstücken. Ich ließ sie liegen.
Einer Eingebung folgend, besuchte ich noch ein letztes Mal meine alte Wohnung, um einen Abschiedsblick hinein zu werfen. Als wir durch die kahlen Räume gingen, fragte ich mich, warum sie mir so verändert vorkam. Dann wurde mir plötzlich bewusst – ihre Wände waren strahlend weiß und ihre Atmosphäre herzergreifend friedlich. Verwundert und bewegt schüttelte ich den Kopf. Ich stand am Fenster und dachte über das Erlebte nach. In der Wohnung schien es nichts Unheimliches oder Rätselhaftes mehr zu geben.
Und was hatte die Geschichte von Herrn Luchterhand mit meiner Vergangenheit zu tun, die ich ausgezogen war zu finden? Mit meinem spirituellen Karma, das laut Christine zu den schrecklichen Visionen geführt hatte? Als sich die Schläge der Kirchturmuhr zu unerwarteter Zeit hell und klar in den Nachthimmel schwangen, wusste ich es. Ich war niemals meiner eigenen Vergangenheit nachgejagt, sondern stets der
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