Golem XIV
die Erde gräbt, kann leicht der Überzeugung sein, wenn er sich nur hartnäckig und lange genug mühe, werde er am Ende die Erdkugel durchstoßen und aus Polen auf den Grund des Pazifik gelangen.« Und weiter schrieb er: »Meine Kritik ist allerdings bescheiden. Ihr Hauptpunkt ist die Bemerkung, daß Lems Abhandlung eine große Menge sachlicher Informationen und Beobachtungen untrennbar mit phantastischen Einfällen zur technologischen Zukunft der Welt verquickt; infolgedessen gewinnen die Einfälle eine Realität, als ginge es um den Bau einer neuen Weichselbrücke (…) Die Ausführungen, die uns eine sich selbst entwickelnde Züchtung von Informationen erhoffen lassen, eine Produktion vollkommener Duplikate existierender lebendiger Individuen, die Organisation einer subjektiv von der Realität nicht unterscheidbaren Phantomatik beliebigen Ausmaßes, mehr noch, die Perspektive der Konstruktion unendlicher Welten und die Perspektive der Schaffung von Wesen mit unsterblicher Seele – das alles steht neben einer überaus ansehnlichen Menge von Informationen über aktuelle wissenschaftliche Fragen und bildet gewissermaßen ihre natürliche Verlängerung. Der Leser (…) könnte Schwierigkeiten haben bei der Unterscheidung zwischen Märchen und Information und tatsächlich glauben, schon übermorgen würden die Ingenieure in fernen Spiralnebeln neue Planeten konstruieren und sie mit denkenden Wesen bevölkern. Nochmals, ich habe nichts gegen die Phantasie, sondern nur gegen ihren manchmal etwas irreführenden Kontext. (…) Kurz gesagt, der anfangs erwähnte Junge mag sowohl mit seiner Schaufel graben als auch Märchen über die unterirdischen Ritter hören, doch wäre zu empfehlen, daß er den Daseinsstatus dieser beiden Wirklichkeiten zu unterscheiden lernt…«
Nach Kołakowskis Meinung liegt meine Schuld also darin, daß ich Märchen und Realität vermischt habe. Gewundert hat mich, daß er das Buch als »Perle« lobte, zumal ich es geschrieben hatte, um in der Hauptsache darzustellen, was er als »Märchen« ansah. Doch habe ich seinen Vorwurf nicht zurückzuweisen versucht, weil ich einsah, daß Hypothesen stehen oder fallen, je nachdem ob die Tatsachen sie bestätigen oder widerlegen, und daß jeder Streit sinnlos sein muß, wenn es sich darum handelt, kühnen Gedanken den Status von »Märchen« oder »Wahrheit« zuzuerkennen, solange es um Dinge geht, deren Verwirklichung zur Zeit nur das subjektive Wahrscheinlichkeitsgefühl garantiert. Zugegeben, ich erwartete nicht, daß sich zu meinen Lebzeiten auch nur eine einzige meiner Phantasien erfüllen oder auch nur den ihr von Kołakowski abgesprochenen Status einer wissenschaftlichen Hypothese erlangen würde, d. h. einer von kompetenten Spezialisten artikulierten und mit Argumenten versehenen Vermutung.
Indessen lief Anfang 1978 eine sensationelle Pressemeldung »über die Produktion vollkommener Duplikate existierender Lebewesen« um die Welt. Es handelte sich um den Bericht über das Buch eines Amerikaners, der behauptete, es sei gelungen, aus einer einem lebendigen Menschen entnommenen Gewebezelle ein menschliches Wesen zu züchten. Diese Technik, Clonation (cloning) genannt, war theoretisch schon früher bekannt gewesen. Zahlreiche von der Presse interviewte hervorragende Biologen dementierten die Nachricht. Wesentlich jedoch war die Tatsache, daß keine einzige Autorität die Angelegenheit als Hirngespinst ansah. Die Richtigstellungen waren anderer Art: Die Technik der »Duplizierung« von Menschen durch Clonation sei VORLÄUFIG NOCH unmöglich, auch wenn ihre Anwendung bei niederen Organismen bereits geglückt sei.
So war also das 1964 von Kołakowski als utopisch angesehene Konzept 1978 zum Gegenstand öffentlicher Kontroversen geworden. Fachleute überlegten den Termin seiner Verwirklichung mit einem Ernst, der darauf hinwies, daß er sich eines Tages einstellen werde. Als ich die »Summa« schrieb, war die Clonation als Biotechnik ein den Fachleuten bekannter, aber leerer Begriff; in den inzwischen vergangenen Jahren sind in der Biologie viele »erste Durchbrüche« passiert. Zum Beispiel hat in diesem Jahr ein Produzent zum ersten Mal eine Methode zur »Konstruktion« von bisher nicht existierenden Bakterien patentieren lassen, die imstande sind, sich von Rohöl zu nähren und also mit den Ölflecken fertig zu werden, die nach Tankerkatastrophen auf den Ozeanen entstehen. Kürzlich konnten wir sogar von einer »kollektiven Schwangerschaft« lesen,
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