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Golem XIV

Golem XIV

Titel: Golem XIV Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Abneigung, sie wichtig zu nehmen, die sich als Reaktion der Geringschätzung oder Gleichgültigkeit kundtut. Der Gedanke erfährt also häufig eine disqualifizierende Ablehnung, noch ehe er in seinen das Weltbild verändernden Konsequenzen erfaßt wird.
    So war es mit den »Schwarzen Löchern«. Jeder Stern verharrt im Gleichgewicht, zentrifugal ausgedehnt durch die Strahlung und zentripetal zusammengezogen durch die Gravitation. Überwiegt die Strahlung, so bläht der Stern sich auf, überwiegt die Gravitation, so schrumpft er. Damit ein beliebiges Objekt die Anziehungskraft des Sterns überwinden kann, muß man ihm eine gewisse Geschwindigkeit verleihen, die sogenannte Fluchtgeschwindigkeit. Ein zusammenfallender Stern wird immer kleiner bei derselben Masse, deshalb wächst die Fluchtgeschwindigkeit von seiner Oberfläche, bis sie größer wird als die Lichtgeschwindigkeit. So entsteht ein sogar das Licht bindendes »Schwarzes Loch«. Um sein mathematisches Bild zu entwerfen, bedarf es keiner überdurchschnittlichen Begabung. Es genügt die Schulaufgabe – wie groß ist die Fluchtgeschwindigkeit von der Oberfläche eines Sterns, der unablässig zusammenfällt? Die einfachen Grundrechnungsarten zeigen, daß diese Geschwindigkeit schließlich die Lichtgeschwindigkeit überschreitet, und dann verschwindet der Stern für alle Beobachter wie weggeblasen. Gerade dies ist der kritische Punkt für die Entstehung einer »neuen Idee«, eines »Schwarzen Lochs« nämlich, weil man sich mit dem erlangten Ergebnis nicht begnügen darf, sondern die nächste Frage stellen muß: Was geschieht mit diesem Stern dann, wenn kein einziger Lichtstrahl ihn mehr verlassen kann? Die Aufgabe mit dem Sternkollaps haben die Physikstudenten in den Seminaren gelöst, doch weder ihnen noch ihren Lehrern ist der Gedanke gekommen, den nächsten Schritt zu tun; denn sie alle hielten gleichermaßen einen solchen Schritt für absurd. Sogar als Schwarzschild ihn tat, als er die Begriffe des »Ereignishorizonts«, der kritische Masse, des Kollapses usw. einführte, hielt man das »Schwarze Loch« für eine mathematische Fiktion, die keine Entsprechung in der Wirklichkeit habe. Zudem beharrte nicht einmal Schwarzschild darauf, daß die »Schwarzen Löcher« nicht nur existieren, sondern auch eine so ungeheure Rolle in der Evolution des Weltalls spielen könnten, wie man sie ihnen heute zuschreibt. Bis in die späten sechziger Jahre verharrte also die für die Kosmologie revolutionäre Entdeckung im Zustand der Verborgenheit, sie war publiziert, doch in ihren physikalischen Konsequenzen nicht erforscht. Erst nach Jahrzehnten stellte S. Hawking die im Grunde ungewöhnlich einfache Frage, wie sich ein »Schwarzes Loch« eigentlich in thermodynamischer Hinsicht verhalten solle. Natürlich so, wie der Name selbst es ausweist; es verhält sich wie ein in der Thermodynamik seit langem bekanntes Objekt, nämlich ein »völlig schwarzer Körper«. Wenn dem so ist, kann man es als ebensolchen Körper behandeln, woraus sich in breiter Front theoretische Forschungen ergaben, gekrönt von einer reichen Typologie »Schwarzer Löcher«, mikroskopischer und gigantischer, die die Kerne der Galaxien bilden. Und ihr wesentlicher Einfluß auf die Evolution des Kosmos wurde immer evidenter.
    Wie man sieht, kann eine »neue Idee« den Fachleuten zur Kenntnis gebracht sein, sie aber nicht in Bewegung versetzen, weil niemand die Idee mit der erforderlichen Aufmerksamkeit und Ernsthaftigkeit behandelt. Ihre Bedeutung mit ihrer vollen potentiellen Reichweite versteht gewöhnlich nicht einmal derjenige, der sie als erster formuliert hat.
    Si parva magnis comparare licet, kann als Beispiel dafür die Geschichte meines Einfalls, der »technologischen Kosmogonie«, dienen. Ich verhielt mich diesem kaum formulierten Gedanken gegenüber mit demselben Mißtrauen, das jeder Mensch einer seinen Grundanschauungen widersprechenden Konzeption entgegenbringt. Ich mißtraute ihr sogar noch mehr, weil ich selbst und nicht irgendeine Autorität, deren Worten Achtung gebührt, ihr Autor war. Denn es ist ja leichter, Dummheit auszusprechen, als einen zutreffenden Gedanken, auf den bisher noch niemand gekommen ist. Deshalb zog ich mich alsbald von dem allzu kühnen Konzept zurück.
    Betrachtet man die Gesamtheit der »Summa Technologiae«, so erweist sich dieses Konzept als geradezu logische Konsequenz der in dem Buch enthaltenen Ausführungen, als höchste und letzte Dimension der Operationen,

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