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Golem XIV

Golem XIV

Titel: Golem XIV Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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unterscheiden, befindet sich im Irrtum. Die Unterschiede zwischen einem »Mechanismus« und einem »Organismus« sind keine technologisch unüberschreitbare Barriere, sie gehören zu einer vorübergehenden, sehr frühen, geradezu primitiven Phase der technologischen Entwicklung. Wer sein ganzes Leben in einer künstlichen Behausung verbrächte, könnte womöglich gar nicht ahnen, daß nicht die Kräfte der Natur diese produziert haben. Von einer Umgebung, die zugleich homogen und unüberschreitbar ist, kann man nicht mit Gewißheit aussagen, ob die Natur oder die Ingenieurkunst sie geschaffen hat. Und da das Weltall homogen ist und man nicht aus ihm hinaustreten kann, bezeichnet die »Neue Kosmogonie« es als total umkonstruiert.
    Es ist mir gelungen, alle diese Fragen in dem logischen Ganzen der »Neuen Kosmogonie« zu verbinden. Ich habe also mit diesem Werk erreicht, was ich beabsichtigte. Dagegen kann ich nicht sagen, ich hätte auf diese Weise den Gedanken vom »Denaturierten Kosmos« aus der »Summa Technologiae« (wo er in Keimgestalt auftritt) in eine Hypothese übergeführt, die so gebaut ist, daß sie mindestens mich von ihrer Glaubwürdigkeit überzeugte. Ich kann auch nicht sagen, die Literatur sei mir zum Zufluchtsort für einen allzu kühnen Gedanken geworden, zum Versteck, aus dem ich den Gedanken nun einfach herausholen könnte, als wäre er eine ernsthafte kosmogonische Hypothese und nicht nur die durch Zuschneidung auf literarische Maße entstellte Version der Hypothese. Es würde auch die Sache nicht wesentlich besser machen, wenn ich aus der »Neuen Kosmogonie« alle offensichtlich phantastischen Erfindungen striche (angefangen bei der Biographie des Griechen, der sie zum ersten Mal ausgesprochen haben soll, und endend bei den nicht existierenden mathematischen und physikalischen Arbeiten, auf die sich der Text beruft).
    Die belletristische Staffage ist kein zu verwerfendes rein äußerliches Kostüm. Ich habe am Ausgangsgedanken einige Fälschungen vorgenommen, was so zu verstehen ist, daß ich mich nicht daran gehalten habe, was mir der Wahrheit am ähnlichsten zu sein schien (in Analogie zu meinen naturwissenschaftlichen Kenntnissen), sondern daran, was auf den Leser den Eindruck der Wahrheit machen sollte. Die sachliche Wahrheit deckt sich oft nicht mit der literarischen, und manchmal muß man das tatsächlich Geschehene zur Einführung in einen belletristischen Text auf bestimmte Weise gründlich verändern. (Über das diskursive Wissen in dieser Angelegenheit verfügen die Literaturwissenschaftler, die Schriftsteller hingegen über ein intuitives, denn der Kern der Sache liegt darin, daß in der Literatur das genologische Paradigma eine höhere Instanz ist als die wörtliche Richtigkeit der Geschehnisse.) Vielleicht erläutert ein Beispiel mein Verhalten am einfachsten. Ich war wie ein Handwerker, der auf einer Bühne ein Haus errichtet. Daß er ein tüchtiger Handwerker ist und ein richtiges Haus bauen könnte, wird in dieser Situation bedeutungslos. Denn er weiß, daß die Dekoration Haus Kriterien genügen soll, denen echte Häuser nicht immer genügen (z. B. die Reinheit des architektonischen Stils), doch soll es nur von einer Seite, vom Zuschauerraum her, »überzeugend« sein. Die einzelnen Elemente, die sich zu dem Haus zusammenfügen, bedürfen nicht der gleichen Authentizität (der Fußboden muß soviel aushalten wie ein richtiger, das eine Fenster, durch das jemand, der sich am Rahmen festhält, einsteigen soll, muß solide sein, aber die Dachziegeln können aus bemalter Pappe bestehen usw.). So habe auch ich mich, als ich die Hypothese vom »Denaturierten Kosmos« in literarischen Anführungsstrichen errichtete, der Pflicht enthoben gefühlt, alle Kriterien der Richtigkeit einzuhalten, denen eine »normale«, d. h. außerhalb der Literatur aufgestellte wissenschaftliche Hypothese genügen muß. Ich habe bestimmte Fragen, statt sie zu entscheiden, in den Nebel des Geheimnisvollen gehüllt, und wo eine wirklich präzise Darlegung längere Überlegungen erfordert hätte, habe ich Kürzel benutzt oder als »suggestive Dekoration« fiktive Zitate aus fiktiven Werken und von fiktiven Fachleuten präsentiert usw. Das seltsame Resultat dieser »Theaterschreinerei« ist ein Endzustand, in dem ich selbst, der Autor sowohl des Kerns, des Einfalls aus der »Summa Technologiae«, als auch seiner Weiterentwicklung in der »Neuen Kosmogonie«, nicht sagen könnte, was dort Ausdruck ehrlicher

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