Golem XIV
informativen Übermittlung der Maschinen. Verbunden mit der fortschreitenden »Nanisierung« (so wurden die einzelnen Stufen der Mikrominiaturisierung bezeichnet, und man sollte vielleicht erwähnen, daß gegen Ende des Jahrhunderts zwanzigtausend logische Elemente in einem Mohnkörnchen Platz fanden!) ergaben sich sensationelle Resultate. Der erste vollständige Lichtkomputer, GILGAMESH, arbeitete millionenmal schneller als der archaische ENIAC.
»Die Überwindung der Barriere der Klugheit« – wie man das nannte – erfolgte kurz nach dem Jahre zweitausend, und zwar dank einer neuen Konstruktionsmethode, die auch als »unsichtbare Evolution des Verstandes« bezeichnet wurde. Bislang hatte man jede Komputergeneration real gebaut; der Gedanke, ihre verschiedenen Varianten mit einer riesigen – tausendfachen! – Beschleunigung zu konstruieren, ließ sich, obwohl er bekannt war, nicht verwirklichen, denn die vorhandenen Komputer, die als »Matrizen« oder auch als »synthetisches Milieu« dieser Evolution des Verstandes dienen sollten, verfügten über kein ausreichendes Volumen. Erst die Entstehung eines bundesstaatlichen Informationsnetzes gestattete es, diese Idee in die Wirklichkeit umzusetzen. Die Entwicklung der fünfundsechzig nachfolgenden Generationen währte kaum ein Jahrzehnt; das Bundesnetz produzierte in den Nachtschichten – den Perioden minimaler Belastung – am laufenden Band »künstliche Verstandesgattungen«; das war eine in der »Komputergenese«
»beschleunigte« Nachkommenschaft, denn sie reifte heran, indem sie mit Symbolen, also immateriellen Strukturen, in das Informationssubstrat, das »Nährmilieu« des Netzes, eingenistet wurde.
Nach diesem Erfolg kamen jedoch neue Schwierigkeiten. AJAX und HANN, Prototypen der 78. und 79. Generation, die man bereits für würdig hielt, sie mit Metall zu verkleiden, wiesen Entscheidungsschwankungen auf, die auch als »Maschinenneurose« bezeichnet wurden. Der Unterschied zwischen den früheren und den neuen Maschinen reduzierte sich – im Prinzip – auf den Unterschied zwischen einem Insekt und einem Menschen. Das Insekt kommt »vollständig programmiert« auf die Welt – mit Instinkten, denen es sich gedankenlos unterordnet. Der Mensch hingegen muß erst das richtige Verhalten erlernen – doch diese Lehre hat verselbständigende Folgen: Der Mensch kann nämlich durch eigene Entscheidung und eigenes Wissen die bisherigen Aktionsprogramme ändern.
Die Komputer nun zeichneten sich bis zur zwanzigsten Generation einschließlich durch ein »Insekten«-Verhalten aus: sie konnten ihre Programme weder in Frage stellen noch umgestalten. Der Programmierer »imprägnierte« seine Maschine mit Wissen wie eben die Evolution das Insekt mit Instinkt »imprägniert«. Noch im zwanzigsten Jahrhundert wurde viel von »Selbstprogrammierung« gesprochen, aber das waren damals unerfüllbare Träume. Die Bedingung für die Entstehung des »ultimativen Siegers« war eben die Schaffung eines »sich vervollkommnenden Verstandes«; AJAX war noch eine mittelbare Form, und erst GILGAMESH erreichte das richtige intellektuelle Niveau – »er hatte die psychoevolutive Bahn« betreten.
Die Erziehung eines Komputers der achtzigsten Generation ähnelte bereits weit mehr der Erziehung eines Kindes als dem klassischen Programmieren einer Rechenmaschine. Aber außer der Vielzahl an allgemeinen und speziellen Kenntnissen mußte man dem Komputer gewisse beständige Werte »einimpfen«, die der Kompaß seines Handelns sein sollten. Es waren dies Abstraktionen höherer Ordnung, wie die »raison d’état« (Staatsinteresse), ideologische Prinzipien, die in der Verfassung der USA verankert sind, Normenkodexe, die Bereitschaft, sich den Entscheidungen des Präsidenten unbedingt unterzuordnen usw. Zur Sicherung des Systems vor einer »ethischen Entartung«, vor dem »Hochverrat«, wurde die Maschine indes in der Ethik nicht so unterwiesen, wie man die Menschen ihre Grundsätze lehrt. Man lud ihr Gedächtnis nicht mit dem ethischen Kodex auf, sondern führte alle jene Gebote des Gehorsams und der Fügsamkeit so in die maschinelle Struktur, wie das die natürliche Evolution – im Bereich des Trieblebens tut. Bekanntlich kann der Mensch Weltanschauungen wechseln – doch er kann nicht die elementaren Triebe (z. B. den Geschlechtstrieb) durch einen einfachen Willensakt in sich vernichten. Die Maschinen wurden mit intellektueller Freiheit ausgestattet – jedoch gefesselt an ein von oben
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