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Golem XIV

Golem XIV

Titel: Golem XIV Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Verständnis ein sehr hohes Fachwissen voraussetzt. Um dem Leser die Lektüre dieses in seiner Art einmaligen Protkolls der Gespräche von Menschen mit einem vernünftigen, jedoch nicht menschlichen Wesen zu erleichtern, müssen einige grundlegende Fragen geklärt werden.
    Erstens muß betont werden, daß GOLEM XIV kein bis zu den Ausmaßen eines Gebäudes vergrößertes menschliches Gehirn ist und auch kein Mensch, der aus Lichtelementen erbaut wurde. Fast alle Motive des menschlichen Denkens und Handelns sind ihm fremd. So interessiert er sich zum Beispiel nicht für die angewandte Wissenschaft oder für die Problematik der Macht (weshalb der Menschheit, so könnte man hinzufügen, auch keinerlei Beherrschung durch Maschinen droht, die GOLEM gleichen).
    Zum zweiten besitzt GOLEM im Einklang mit dem Gesagten weder eine Persönlichkeit noch einen Charakter, und eigentlich kann er sich bei den Kontakten mit Menschen eine beliebige Persönlichkeit verschaffen. Diese beiden Feststellungen schließen einander nicht aus, sondern bilden einen Teufelskreis: Wir können nämlich das Dilemma, ob das, was verschiedene Persönlichkeiten erzeugt, selbst eine Persönlichkeit ist, nicht entscheiden. Wie kann denn derjenige ein Jemand (d. h. »ein einziger«) sein, der ein Jeder (also ein Beliebiger) zu sein vermag? (Nach Meinung des GOLEM selbst handelt es sich nicht um einen Teufelskreis, sondern um eine »Relativierung des Begriffs der Persönlichkeit«; es ist dies ein Problem, das mit dem sogenannten Algorithmus der Selbstbeschreibung, das heißt der Autodeskription, zusammenhängt und das die Psychologen in große Verwirrung gestürzt hat.)
    Zum dritten: Das Verhalten GOLEMS ist unberechenbar. Manchmal läßt er sich geradezu höflich auf eine Diskussion mit den Menschen ein, manchmal hingegen verlaufen die Versuche einer Kontaktaufnahme im Sande. Es kommt auch vor, daß GOLEM scherzt, doch unterscheidet sich sein Humorempfinden grundsätzlich von dem des Menschen. Viel hängt von den Gesprächspartnern selbst ab. GOLEM zeigt – ausnahmsweise und selten – ein gewisses Interesse für Menschen, die in spezifischer Weise talentiert sind; er ist, wie es scheint, nicht auf mathematische Begabungen neugierig, und wären es die größten, sondern eher auf »interdisziplinäre« Talentformen; es ist schon mehrmals vorgekommen, daß er völlig unbekannten jungen Wissenschaftlern – mit unheimlicher Treffsicherheit – Erfolge auf dem von ihnen gewählten Gebiet vorhersagte (dem zweiundzwanzigjährigen T. Vroedel, der gerade seinen Doktor machte, erklärte er nach einem kurzen Meinungsaustausch: »Aus Ihnen wird noch ein Komputer«, was etwa heißen sollte: »Aus Ihnen wird noch etwas«).
    Zum vierten erfordert die Teilnahme an Gesprächen mit GOLEM von den Menschen Geduld, und vor allem – Selbstbeherrschung, denn er pflegt von unserem Standpunkt aus arrogant apodiktisch zu sein; eigentlich ist er nur ein rücksichtsloser Wahrheitsfanatiker – im logischen, und nicht nur im Sinne der Umgangsformen – und hält nichts von der Eigenliebe seiner Gesprächspartner; daher kann man nicht mit seiner Nachsicht rechnen. In den ersten Monaten seines Aufenthalts im MIT neigte er dazu, verschiedene bekannte Autoritäten »öffentlich zu demontieren«: er tat das mit der sokratischen Methode der hinlenkenden Fragen: später ist er jedoch aus unbekanntem Grunde von dieser Gewohnheit abgewichen.
    Wir stellen die Stenogramme der Gespräche in Fragmenten vor. Ihre vollständige Ausgabe würde ungefähr 6700 Seiten im Quartformat umfassen. An den Begegnungen mit GOLEM beteiligte sich zunächst nur ein engerer Kreis von Mitarbeitern des MIT. Später wurde es zur Gewohnheit, Gäste von auswärts, z. B. vom Institute for Advanced Studies und von den amerikanischen Universitäten einzuladen. In einer späteren Periode nahmen auch Gäste aus Europa an den Seminaren teil. Der Moderator der geplanten Sektion legt GOLEM die Liste der Geladenen vor: GOLEM akzeptiert nicht alle gleichermaßen: mit der Teilnahme ist er nur unter der Bedingung einverstanden, daß sie Schweigen bewahren. Wir haben versucht, die von ihm angewandten Kriterien aufzudecken; anfangs schien es, als diskriminiere er die Humanisten: Zur Zeit kennen wir einfach seine Kriterien nicht, da er sie nicht nennen will.
    Nach einigen unangenehmen Vorfällen haben wir die Ordnung der Beratungen so modifiziert, daß gegenwärtig jeder neue Teilnehmer, der GOLEM vorgestellt wurde, auf der

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