Golem XIV
ersten Sitzung nur dann das Wort ergreift, wenn sich GOLEM direkt an ihn wendet. Unkluge Gerüchte, die insinuieren, es handele sich dabei um eine »höfische Etikette« oder um unser »unterwürfiges Verhältnis zur Maschine«, entbehren jeder Grundlage. Es geht schließlich darum, daß sich der Neuankömmling mit den herrschenden Gewohnheiten vertraut macht und nicht unangenehmen Erlebnissen ausgesetzt wird, die aus einer Desorientierung hinsichtlich der Absichten des Lichtpartners resultieren. Eine solche einleitende Teilnehmerschaft heißt »Training«.
Jeder von uns hat im Verlaufe der einzelnen Sessionen ein gewisses Kapital an Erfahrung gesammelt. Dr. Richard Popp, eines der früheren Mitglieder unseres Kollektivs, bezeichnet das Humorempfinden GOLEMS als mathematisch, und einen Schlüssel zu seinem Verhalten bietet teilweise die Bemerkung Dr. Popps, daß GOLEM von seinen Gesprächspartnern in einem Grade unabhängig sei, wie es sonst kein Mensch gegenüber anderen Menschen sein könne, denn er engagiere sich nur im mikroskopischen Umfang. Dr. Popp meint, GOLEM befasse sich überhaupt nicht mit den Menschen – da er wisse, daß er von ihnen nichts Wesentliches erfahren könne. Nachdem ich dieses Urteil Dr. Popps zitiert habe, beeile ich mich zu betonen, daß ich nicht damit einverstanden bin. Meiner Meinung nach interessieren wir GOLEM sogar sehr; jedoch in anderer Weise, als das zwischen Menschen der Fall ist.
Sein Interesse widmet er eher der Gattung als ihren einzelnen Vertretern; das, worin wir uns gleichen, erscheint ihm fesselnder als das, in welchem Maße wir uns voneinander unterscheiden können. Sicherlich hält er wohl deshalb nichts von der schönen Literatur. Übrigens hat er selbst einmal geäußert, die Literatur sei ein »Auswalzen von Antinomien« – oder, ich füge das von mir aus hinzu – ein Ringen des Menschen in den Schlingen von Direktiven, die gemeinsam nicht ausführbar sind. An solchen Antinomien kann die Struktur GOLEM interessieren, jedoch nicht das Pittoreske ihrer Qual, die die größten Schriftsteller fasziniert. Zwar sollte ich auch hier vermerken, daß die Festlegung unsicher ist; ähnlich übrigens wie der letzte Teil der Bemerkung GOLEMS, die er im Zusammenhang mit einem (von Dr. E. Mac Neish erwähnten) Werk Dostojewskis fallenließ, als er feststellte, daß sich dieses Werk auf zwei Algebraringe von Konfliktstrukturen zurückführen lasse.
Gegenseitigen menschlichen Kontakten pflegt stets eine bestimmte emotionale Aura zu assistieren, und es ist nicht so sehr ihr völliges Fehlen, als vielmehr ihr »Schwanken«, das so viele Personen verwirrt, die mit GOLEM in Berührung kommen. Menschen, die GOLEM seit Jahren kennen, sind bereits imstande, gewisse eigenartige Eindrücke zu benennen, die sie bei den Gesprächen gewinnen. So z. B. den Eindruck der wechselnden Distanz: GOLEM scheint sich dem Gesprächspartner zu nähern, dann wieder zu entfernen – im psychischen, nicht physischen Sinne: Was da erfolgt, kann vielleicht ein Vergleich wiedergeben, der sich auf die Kontakte eines Erwachsenen zum Kind konzentriert, das ihn zu Tode langweilt. Selbst ein Geduldiger wird bisweilen nur automatische Antworten geben. GOLEM überragt uns nicht nur maßlos hinsichtlich des intellektuellen Niveaus, sondern auch durch sein Denktempo (als Lichtmaschine könnte er im Prinzip seine Gedanken vierhunderttausendmal schneller artikulieren als der Mensch).
So ist uns sogar ein automatisch und mit geringem Engagement antwortender GOLEM immer noch haushoch überlegen. Bildlich gesprochen, erscheinen vor uns dann statt des Himalajagebirges »nur« die Alpen. Diese Änderung spüren wir jedoch rein intuitiv und interpretieren sie eben als »Änderung der Distanz« (die Hypothese stammt von Prof. Riley J. Watson).
Eine Zeitlang wiederholten wir die Versuche, das Verhältnis »GOLEM-Menschen« in den Kategorien »Erwachsener-Kind« auszulegen. Es kommt ja vor, daß wir einem Kind ein Problem, das uns bewegt, zu erklären versuchen, doch dann werden wir das Gefühl nicht los, einen »schlechten Kontakt« zu haben. Ein Erwachsener, der dazu verurteilt wäre, unter lauter Kindern zu leben, müßte sich schließlich stark vereinsamt fühlen. Solche Analogien wurden vor allem von den Psychologen im Zusammenhang mit GOLEM und uns geäußert. Aber diese Analogie hat, wie wohl jede, ihre Grenzen. Das Kind pflegt dem Erwachsenen unbegreiflich zu sein, GOLEM jedoch kennt solche Probleme nicht. Er vermag,
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