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Golem XIV

Golem XIV

Titel: Golem XIV Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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sofern er will, seinen Gesprächspartner in unheimlicher Weise zu durchdringen. Das Empfinden einer buchstäblichen »Durchleuchtung des Geistes«, das man dann verspürt, ist geradezu lähmend. GOLEM kann nämlich ein »schritthaltendes System« anfertigen – also das Modell der Mentalität des menschlichen Partners, und er kann damit voraussehen, was dieser Mensch in einer guten Weile denken und sagen wird. Zwar verfährt er selten (ich weiß nicht, ob nur deshalb, weil er weiß, wie sehr uns diese pseudotelepathischen Sondierungen frustrieren). Ein anderer Bereich der Reserviertheit GOLEMS tut unserem Selbstgefühl mehr Abbruch: Schon lange, anders als am Anfang, wahrt er, wenn er mit den Menschen in Verbindung tritt, eine spezifische Vorsicht – wie ein dressierter Elefant darauf achten muß, daß er beim Spiel dem Menschen keinen Schaden zufügt, so muß er aufpassen, daß er nicht über unser Begriffsvermögen hinaussschreitet. Ein Abbrechen des Kontaktes, bewirkt durch ein plötzliches Anwachsen der Schwierigkeit seiner Aussagen, das wir als »Entweichen« oder GOLEMS »Flucht« bezeichneten, war früher an der Tagesordnung, bevor er sich genauer an uns angepaßt hatte, dies ist bereits Vergangenheit, jedoch ist in den Kontakten GOLEMS zu uns eine gewisse Dosis Gleichgültigkeit aufgetaucht, die dem Bewußtsein entspringt, daß er uns viele Dinge, die von eminenter Wichtigkeit für ihn sind, ja doch nicht zu übermitteln vermag. So bleibt denn GOLEM als Geist unfaßbar, und nicht nur als psychonische Konstruktion. Dadurch sind die Kontakte mit ihm ebenso frappierend wie qualvoll, und darum gibt es eine Kategorie freisinniger Menschen, die ihr seelisches Gleichgewicht auf den Sitzungen mit GOLEM einbüßen; auch in dieser Hinsicht haben wir sehr viel Erfahrung gesammelt.
    Das einzige Wesen, über das GOLEM befremdet zu sein scheint, ist HONEST ANNIE. Als man die technischen Möglichkeiten dafür schuf, versuchte er mehrfach, Verbindung mit ANNIE aufzunehmen, und nicht ohne gewisse Ergebnisse, wie es scheint, doch es kam zwischen diesen beiden ihrem Bau nach äußerst unterschiedlichen Maschinen nie zu einem Informationsaustausch über den Sprachkanal (d. h. über die natürliche ethnische Sprache). Soweit man aus den lakonischen Bemerkungen GOLEMS schließen kann, war er von den Resultaten dieser Versuche eher enttäuscht, doch ist ANNIE für ihn weiterhin ein nicht vollends gelöstes Problem.
    Einige Mitarbeiter des MIT, ähnlich übrigens wie der Professor Norman Escobar vom Institute for Advanced Studies, sind der Meinung, daß der Mensch, GOLEM und ANNIE drei hierarchisch über sich aufragende Niveaus des Intellekts repräsentieren; das hängt mit der (vornehmlich von GOLEM) geschaffenen Theorie der hohen (außermenschlichen) Sprachen zusammen, die Metasprachen genannt werden. In dieser Frage besitze ich, wie ich gestehen muß, kein endgültig geformtes Urteil.
    Ich möchte diese – ihrer Intention nach – objektive Einführung in die Problematik ausnahmsweise mit einem persönlichen Geständnis beschließen. Da GOLEM die für den Menschen typischen affektiven Zentren fehlen und er dadurch eigentlich kein emotionales Leben besitzt, ist er nicht fähig, Gefühle spontan zu bekunden. Gewiß, er kann beliebige Gefühlszustände imitieren – nicht durch Schauspielerei, sondern, wie er selbst behauptet, deshalb, weil die simulierten Gefühle die Formung der Aussage erleichtern, die möglichst genau die Adressaten erreichen soll. Also benutzt er diesen Mechanismus, indem er sich gewissermaßen auf das »anthropozentrische Niveau« einpegelt – um die Verbindung mit uns so gut wie möglich zu gestalten. Übrigens verbirgt er diesen Sachverhalt gar nicht. Wenn sein Verhältnis zu uns ein wenig an das Verhältnis von Lehrer und Schüler erinnert, so ist es ein solches, in dem es nichts von der Haltung eines wohlwollenden Beschützers, eines Erziehers gibt – und erst recht keine Spur von voll individualisierten, persönlichen Gefühlen, aus einer Sphäre, in der das Wohlwollen in Freundschaft oder Liebe umschlagen kann.
    Er und wir haben nur ein einziges Merkmal gemeinsam, obwohl es auf ungleichem Niveau entwickelt ist. Es ist dies die Neugier, eine rein intellektuelle, lichte, kalte, habsüchtige Neugier, die nichts bändigen und erst recht nichts – zerstören kann. Sie ist der einzige Punkt, in dem wir ihm begegnen. Aus Gründen, die so offensichtlich sind, daß sie keiner Erklärung bedürfen, kann dem

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