Goliath: Roman (German Edition)
die jemals stattfinden könnte.«
»Wie lange belagern sie jetzt schon die Tore?«, fragt der General.
»Seit der Präsident Ihres Landes zugegeben hat, dass die Ronald Reagan mit Kernwaffen ausgerüstet war. Ob Sie es glauben oder nicht, die Leute von Pflugscharen halten diesen Covah tatsächlich für einen Helden.«
Rocky fällt die Tasse aus der Hand. Tee und Porzellansplitter verteilen sich auf dem Linoleumboden. »Covah hat achttausend Männer und Frauen ermordet! Wie zum Teufel kann ihn das zum Helden machen?«
»Ich hab ja nicht gesagt, dass ich die Ansicht teile. Allerdings sind die meisten Briten – wie auch ich – der Meinung, dass die Vereinigten Staaten die Schuld an dem ganzen Fiasko tragen.« Botchin deutet mit dem Kinn auf Gunnar. »Wären Ihre Sicherheitsvorkehrungen besser gewesen, hätten die Chinesen die Pläne für die Goliath nie und nimmer in die Hände bekommen.«
Gunnar spürt ein altbekanntes Brennen im Unterleib. Er steht auf, verlässt die Baracke und wirft die Tür hinter sich zu.
Rocky blickt ihm ausdruckslos hinterher.
Auf dem Gelände der Basis ist die Hölle los. Polizisten in Kampfausrüstung hasten zum Haupttor, Soldaten laden Computer, Aktenschränke und Pappkartons auf Transportfahrzeuge. Vor dem Nordtor hat sich eine größere Menge zusammengerottet; die Demonstranten drängeln, brüllen Parolen und versuchen hartnäckig, den Zaun zu überwinden. Ein Geruch nach Schwefel und Tränengas schwebt in der kühlen Luft.
Gunnar geht hinter dem Jeep in Deckung. Kniend schließt er die Augen und atmet langsam durch die Nase ein, füllt seine Lunge von unten her, bis sein Bauch sich aufbläht und sein Brustkorb bis zum äußersten gedehnt ist. Dann atmet er gleichmäßig und langsam durch den Mund aus. Sein Puls wird langsamer, und die Wut weicht aus seinem Körper, bis sie nur noch ein galliger Geschmack im Mund ist.
Die auf dem Lastwagen montierten Lautsprecher geben ein schrilles Pfeifen von sich. Sofort legt sich die Hektik am Haupttor. Die Menge beruhigt sich, als ein Mann ans Mikrofon tritt, offenbar einer der Führer der Demonstranten. »Ruhig, Leute, ganz ruhig. Wir haben einen Besucher, der zu uns sprechen will – und der hat wirklich was zu sagen. Michael, komm doch rauf zu mir …«
Spärlicher Beifall. Der gut gekleidete große Mann, den Gunnar vom Fenster aus gesehen hat, zieht das Mikrofon aus dem Ständer höher. »Großartig, wie viele heute hier sind! Für alle, die mich noch nicht kennen: Ich bin Michael Jamieson vom Fraktionsvorstand der Labour Party im schottischen Parlament …«
Buhrufe erschallen aus der Menge.
»Geben Sie mir doch erst mal eine Chance! Ich bin heute hier, weil ich Ihr Anliegen unterstütze, weil ich – genau wie Sie – etwas verändern will. Zuerst möchte ich Ihnen gerne etwas vorlesen … ein Statement des Internationalen Gerichtshofs.« Jamieson zieht ein zusammengefaltetes Blatt Papier aus seiner Brusttasche. »Am 8. Juli 1996 hat der Internationale Gerichtshof die grundsätzliche Illegalität aller Atomwaffen bestätigt und ist zu dem Schluss gekommen, alle Staaten hätten die Pflicht, Verhandlungen zu allen Aspekten der atomaren Abrüstung einzuleiten.«
Beifall übertönt die Pfiffe.
Jamieson hält das Blatt in die Höhe. »Trotz dieser Entscheidung und trotz eines eindeutigen Mandats von Seiten der britischen Bevölkerung und vieler Abgeordneter wirkt unsere Regierung weiterhin bei der illegalen Verbreitung solcher Massenvernichtungswaffen mit.«
Jamieson, der endgültig die Aufmerksamkeit des Publikums gewonnen hat, macht eine Pause. Aus den Lautsprechern dringt das Grollen des scharfen Windes. »Was braucht es noch, um das Parlament zu überzeugen? Was braucht es noch, um die Welt zu verändern? Ein zweites Hiroshima, ein zweites Nagasaki? Wie viele unschuldige Menschen sollen noch sterben, bevor die Regierungen erkennen, dass sie uns auf den Pfad zum Abgrund führen?«
»Frieden schaffen ohne Waffen!«, skandiert die Menge. »Frieden schaffen ohne Waffen!«
David kommt aus der Baracke und hockt sich neben Gunnar. »Klingt ganz wie die Demos, auf die wir im College gegangen sind. Wahrscheinlich fordern sie gleich, dass man die Wale retten soll …«
Gunnar bringt ihn mit einem scharfen Blick zum Schweigen.
Jamieson hebt die Hände, um sich Gehör zu verschaffen. »Hinter dem Tor da drüben liegt ein Boot vor Anker, das wir mit unseren Steuergeldern bezahlt haben. Es ist ein U-Boot mit genügend Feuerkraft, um alle
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