Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gondeln aus Glas

Gondeln aus Glas

Titel: Gondeln aus Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
Vom Netzwerk:
Tron. «Und eine Gegenüberstellung mit der Königin vorschlagen.»
    Tron griff nach seinem Zylinder, den er neben dem Sessel abgelegt hatte, und erhob sich träge.
    Selbst hier in den Mauern des Palazzo Balbi war die Luft heiß, feucht und stickig, fast galvanisch aufgeladen wie vor einem Gewitter. «Wann triffst du Leinsdorf?»
    Die Principessa warf einen Blick auf die Stutzuhr, die auf dem Kaminsims stand. «In einer Stunde. Sehe ich dich nachher?»
    Tron nickte. «Ich komme sofort zurück, wenn ich bei Troubetzkoy war.»
    Das Lächeln der Principessa war ausgesprochen verheißungsvoll. «Nimm dir für heute Abend nichts vor.»

45
    Troubetzkoy, in legerer Hausjacke und mit offenem Kragen, hob seinen Blick von einem Kanzleibogen vor ihm auf dem Schreibtisch und legte seinen Federhalter aus der Hand. Eine dunkle Locke hatte sich aus seinem Haupthaar gelöst und rahmte seine Stirn auf byroneske Weise ein. Ohne seine Uniform sah Troubetzkoy heute eigenartig privat aus, fast ein wenig … literarisch? Tron fragte sich, woran der Groß fürst gerade geschrieben hatte. Verfasste er in seiner Freizeit Novellen? Russische Romane?
    «Ich bedaure diese Störung außerordentlich», sagte Tron, indem er sich von Bossi löste, der bescheiden an der Tür stehen geblieben war. «Ich wusste nicht, dass Hoheit …» Tron brach ab und ließ den Rest des Satzes in der Luft hängen.
    Der Großfürst beendete ihn für ihn. «Dass ich lesen und schreiben kann?» Er lächelte ironisch. «Dass das Alphabet bereits an den Rand der moskowitischen Mongolei gedrungen ist?» Troubetzkoy schüttete Löschsand auf den frischen Bogen und pustete den Sand auf den Fußboden. Dann lehnte er sich auf seinem Schreibtischstuhl zurück.
    «Der Baron hatte mir mitgeteilt, dass die Flut Ihrer Besuche ihren Höhepunkt überschritten habe.
    Schon mit Rücksicht auf die guten Beziehungen zwischen dem Zarenreich und dem Habsburgerreich wäre das wünschenswert. Ich frage mich, was der Baron zu diesem erneuten Besuch sagen wird.»
    «Vermutlich, dass mir nichts anderes übrig blieb, als Hoheit noch einmal aufzusuchen.»
    «Hoffentlich wird er Verständnis dafür haben.»
    Der Großfürst schichtete die Blätter, die er gerade beschrieben haben mochte, zu einem akkuraten Stapel zusammen. «Kennen Sie die Geschichte von Jacob Goljadkin?»
    Tron schüttelte den Kopf. «Bedauere, nein.»
    «Sie handelt von einem kleinen Beamten, der die Gunst seines Vorgesetzten eingebüßt hat und darüber den Verstand verliert», sagte Troubetzkoy. «Schließ lich wird er paranoid und sieht Dinge und Menschen, die nicht existieren. Gewissermaßen ein literarischer Doppelgänger von Ihnen.» Der Großfürst stützte das Kinn auf die Daumen und sah Tron an.
    «Sind Sie sicher, dass Sie nicht hin und wieder Dinge sehen, die es gar nicht gibt?»
    «Wenn ich jemanden für tot halte, der in Wahrheit lebendig ist», sagte Tron, «erfahre ich die Wahrheit vom medico legale .»
    Troubetzkoy sah Tron amüsiert an. «Hat es wieder einen Toten gegeben? Und bin ich wieder der Mörder?»
    «Oberst Orlow ist gestern Nacht an der Sacca della Misericordia ermordet worden», sagte Tron.
    Was nach Lage der Dinge keine Überraschung für den Großfürsten sein konnte, der es auch für überflüssig hielt, Zeichen der Betroffenheit von sich zu geben. Troubetzkoy lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. «Sind Sie deshalb gekommen?» Das hörte sich nach einem Verhandlungsangebot an.
    «Ich bin auch hier», sagte Tron, «weil sich neue Aspekte im Kostolany-Fall ergeben haben.»
    Troubetzkoy runzelte die Stirn. «Spaur meinte, Kostolanys Mörder sei der Priester gewesen, der hinter dem Rücken der Königin zwei Kopien angefertigt hat, um eine in Venedig zu verkaufen. Und der dann vom Gerüst gefallen ist.»
    «Der Sturz vom Gerüst war kein Unfall», sagte Tron. «Pater Terenzio ist ermordet worden.»
    «Von wem?» Natürlich kannte Troubetzkoy die  Antwort. Aber er wollte wissen, ob Tron sie auch kannte.
    «Wir dachten zuerst», sagte Tron, «dass Oberst Orlow den Pater getötet hat. Das nahmen wir jedenfalls so lange an, bis der Oberst gestern Nacht ermordet wurde.» Tron machte einen Pause, bevor er den letzten, entscheidenden Trumpf ausspielte. «Oberst Orlow hatte einen Komplizen, der Kostolany ermordet hat und anschließend in seine Rolle geschlüpft ist. Die Königin hat Kostolany auf einer Fotografie nicht wiedererkannt.»
    Troubetzkoy riss erschrocken die Augen auf, aber hatte sich sofort

Weitere Kostenlose Bücher