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Gondeln aus Glas

Gondeln aus Glas

Titel: Gondeln aus Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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wieder in der Gewalt. «Wer war dieser Komplize?»
    «Es war nicht Pater Terenzio.»
    «Sondern?»
    «Es war derselbe Mann, der Oberst Orlow gestern Nacht getötet hat», sagte Tron langsam. «Er hatte erhebliche Differenzen mit Kostolany und war deshalb gerne bereit, seinem alten Waffenbruder Orlow unter die Arme zu greifen. Wahrscheinlich wusste er, dass Oberst Orlow kurz davor war, sich der Königin zu offenbaren.»
    Troubetzkoy beugte sich abrupt nach vorne, und seine rechte Hand fuhr nach der Schublade seines Schreibtisches. Einen Moment lang befürchtete Tron, dass der Großfürst die Nerven verlieren würde und einen Revolver aus der Schublade ziehen könnte. Doch dann stand Troubetzkoy lediglich auf und ging mit hastigen Schritten zum Fenster. Als er sich wieder umdrehte, war sein Gesicht kalkig bis in die Lippen.
    «Soll das heißen, dass Sie mich jetzt ausmanövriert haben, Commissario?» Der Großfürst stieß ein nervöses Lachen aus und lehnte sich zurück. «Zumal ich für die gestrige Nacht kein Alibi habe? Was Sie offenbar wussten?»
    Tron sagte in knappem Geschäftston: «Wir könnten uns auf den Standpunkt stellen, dass es sich gestern Nacht um einen Raubüberfall gehandelt hat, und die Akte schließen.» Und er setzte noch hinzu: «Der Hinweis auf den Aufbewahrungsort des Tizian kann anonym erfolgen. Sodass er nicht als Eingeständnis einer Schuld gewertet werden kann.»
    Wieder beugte sich Troubetzkoy abrupt nach  vorne, und diesmal zog er tatsächlich die Schublade seines Schreibtisches auf. Aber was er dann in den Händen hielt, war kein Revolver, sondern ein farbloses Glas und eine Flasche. Der Großfürst goss das Glas voll bis zum Rand, stürzte es in einem Zug hinunter und schloss die Augen.
    Schließlich sagte er mit leiser Stimme: «Sie wollen also nicht unbedingt mich, sondern nur den Tizian?»
    Tron nickte. «Genau das war mein Vorschlag.»

    Einen Moment lang sah Troubetzkoy Tron  schweigend an. Dann füllte er sein Glas auf, stürzte es wieder mit einem Schluck hinunter und setzte es neben dem Papierstapel ab. Als er sprach, klang seine Stimme beinahe gelassen.
    «Ich gebe zu», sagte der Großfürst, «dass Ihre Geschichte eine gewisse Logik hat. Eines hätten Sie allerdings noch tun sollen, bevor Sie mich besucht haben.» Troubetzkoy griff nach dem Glas und betrachtete es nachdenklich. «Gibt es eine Fotografie von Pater Terenzio?»
    «Ja, es gibt eine», sagte Tron.
    «Dann zeigen Sie diese Fotografie der Königin», sagte Troubetzkoy knapp. «Sie wird Pater Terenzio wiedererkennen. Und was den Mord an Oberst Orlow betrifft, für den ich leider kein Alibi habe – vielleicht war es ja wirklich ein simpler Raubüberfall.»
    Der Großfürst brachte es fertig, freundlich zu lächeln.
    «Ich hatte Sie davor gewarnt, Dinge zu sehen, die es gar nicht gibt, Commissario. Erinnern Sie sich?»

    «Ich dachte, er wäre kurz davor auszupacken», sagte Tron, als sie ein paar Minuten später auf dem Grund der Calle Mocenigo standen. Der Himmel hatte sich inzwischen bezogen, die Luft war feucht und dick, ohne dass es sich abgekühlt hatte.
    Bossi machte ein nachdenkliches Gesicht. «Was der Großfürst gesagt hat, ist nicht unplausibel. Wir hätten der Königin auch das Bild von Pater Terenzio zeigen müssen.»

    Tron schüttelte den Kopf. «Nein, Bossi. Pater Terenzio war aus dem Spiel.»
    «Vielleicht zu früh. Vielleicht war es ja doch ein versuchter Raubüberfall. Ich dachte immer, auch Sie glauben an dumme Zufälle, Commissario.»
    «Das wäre ein ziemlich dummer Zufall», sagte  Tron.
    «Ein missglückter Raubüberfall, bei dem der Täter dem Opfer die Kehle durchschneidet, ist äußerst unwahrscheinlich.»
    Das überzeugte den Sergente nicht. «Es war auch nicht sehr wahrscheinlich, dass ausgerechnet Leinsdorf sich als der gut situierte Signore herausgestellt hat und dass er dann noch auf die Leiche von Orlow stößt.» Bossi sah Tron unternehmungslustig an. «Was machen wir jetzt?»
    Tron hob resigniert die Schultern. «Wir zeigen der Königin das Bild von Pater Terenzio.»
    «Was denken Sie, was sie sagen wird?»
    «Ich denke überhaupt nichts mehr», sagte Tron verdrossen. «Vielleicht sollte ich mich in Zukunft darauf beschränken, Indizienketten zusammenzubasteln.»
    «Und wann besuchen wir die Königin?»
    «Ich glaube nicht», sagte Tron, der auf einmal an das Lächeln der Principessa denken musste, «dass es eine gute Idee ist, die Königin heute zum zweiten Mal zu besuchen.

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