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Good Girls

Titel: Good Girls Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Ruby
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»Das wird es sein.«
    Luke nahm das Eis von meinem Fuß weg. »Ich glaube, du wirst es überleben.«
    Ich weiß nicht, woran es lag, aber wenn ich in seiner Nähe war, wurde ich plötzlich zu einer anderen Person. Zu einer Person, die sagte, was sie wollte. Es war eine Person, die ich sein wollte, vor der ich aber auch Angst hatte. Wenn sie schon alles sagte , was würde sie dann tun ?
    »Bist du sicher, dass es dem Fuß wieder gut geht?«, sagte ich. »Vielleicht brauche ich noch etwas ärztlichen Beistand.«
    »Ärztlichen Beistand«, sagte er und grinste. »Dafür brauchst du mich doch nicht. Du bist doch ein Genie, oder nicht? Wahrscheinlich kannst du sogar selbst die Diagnose stellen und dich behandeln.«
    Und plötzlich war ich wieder die alte Audrey. Die verspannte, hyperkorrekte Audrey. »Hör auf«, sagte ich. Eigentlich sollte es sexy und neckisch klingen, aber es klang weinerlich und ärgerlich. Ich hatte es satt, dass alle ständig darauf herumritten, wie schlau ich war.
    »Tut mir leid«, sagte er. »Das sollte nur ein Witz sein.«
    »Ich weiß. Es ist nur … ich bin kein Genie, klar?«
    Er sah mich nachdenklich an. »Aber du hast ein paar Klassen übersprungen.«
    »Eine Klasse. Die dritte Klasse. Aber nicht weil ich schlauer bin als alle anderen. Sondern nur weil ich immer alles zu Ende bringe, was ich anfange.« Aus irgendeinem Grund wollte ich es ihm gerne erklären. »Stell dir vor, du sollst in Englisch fünf Kapitel in einem Buch lesen. Wie oft würdest du diese fünf Kapitel lesen?«
    »Die Leute lesen Bücher? Und ich dachte immer, die wären nur Dekoration.«
    »Ha-ha«, machte ich.
    »Ich lese auch manchmal ein Buch«, sagte er. »Ich habe gerade Moby Dick fertig gelesen. Das ist echt witzig.«
    »Du findest Moby Dick witzig ?«
    »Ja. Die meisten Stellen überfliege ich sowieso nur. Damit ich schneller zum Ziel komme.« Seine Fingerspitzen überflogen meinen Oberschenkel.
    Moby Dick hätte mich stutzig machen sollen und das mit dem Überfliegen auch. Aber ich war im Audrey-Hochtouren-Modus und jetzt gab es kein Halten mehr. »Ich lese alle Kapitel«, sage ich. »Und zwar jedes einzelne Wort. Zweimal oder dreimal. Ich mache jede Aufgabe, die ich bekomme, immer so schnell wie möglich fertig. Hausarbeiten, Hausaufgaben, Bilder, Aufsätze, egal was. Wenn ihr anderen auch immer alles genau so machen würdet, wie manes von euch erwartet, dann könntet ihr auch eine Klasse überspringen.«
    »Ach, komm schon. Soll das heißen, du hast noch nie eine Hausaufgabe nicht gemacht? Oder ein Kapitel nicht gelesen? Nicht einmal?«
    »Nein«, sagte ich. »Als ich im Kindergarten war, haben wir eine Mappe bekommen. Mit kleinen Übungsblättern mit Buchstaben und Farben und so. Ich war so begeistert, dass ich mich sofort hingesetzt und die komplette Mappe durchgearbeitet habe. Von der ersten bis zur letzten Seite. Als ich der Erzieherin am nächsten Tag die fertige Mappe gezeigt habe, ist sie beinahe in Ohnmacht gefallen.«
    »Ich falle auch gleich in Ohnmacht«, sagte Luke.
    »Ich kann es einfach nicht ertragen, etwas nicht zu beenden«, sagte ich. »Ich weiß auch nicht, warum.« Das war natürlich gelogen. Ich wusste genau, warum. Wenn ich für einen Test nicht so viel wie möglich lernte, konnte es sein, dass ich ihn nicht bestand. Und wenn ich einen Test nicht bestand, war es auch möglich, dass ich zwei Tests nicht bestand. Und wenn ich zwei Tests nicht bestand, war es möglich, dass ich keinen einzigen bestand. Und wenn ich keinen einzigen bestand, konnte ich nicht zur Uni gehen und Architektur oder Design oder sonst was studieren, und mein Leben wäre ruiniert. Nur weil ich für einen Test nicht gelernt oder ein Kapitel nicht gelesen habe. So schnell geht das. Ein einziger Fehler, und alles, wofür du gearbeitet hast, ist futsch. So was passiert sehr oft. Meinen Eltern ist das auchpassiert. Ich kam auf die Welt und habe alles gesprengt. Weder meine Mutter noch mein Vater haben ihr Studium abgeschlossen, sondern das einzig Richtige getan: Sie haben geheiratet. Und dann haben sie nicht einmal ein Brüderchen bekommen, um das Familienporträt zu vervollständigen.
    Luke sagte eine Weile lang nichts, und ich dachte schon, ich hätte mit meinem Vortrag über meine zwanghaften Lerngewohnheiten die Stimmung verdorben. Wer unterhält sich schon gerne über Mappen aus dem Kindergarten. Sehr sexy!
    Luke stand auf und zog mich auf die Füße. Oder besser gesagt, auf den Fuß. Mit dem rechten konnte ich nicht

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