GOR-Zyklus 01 - Gor - die Gegenerde
zwischen denen sich im Süden und Norden gemäßigte Klimazonen erstreckten. Zu meiner Überr a schung war ein Großteil der Landkarten weiß, aber auch so bereitete es mir gehöriges Kopfzerbrechen, alle bekannten Flüsse, Seen, Ebenen und Halbinseln au s wendig zu lernen.
Wirtschaftlich gesehen basierte das goreanische Leben auf der Arbeit des freien Landbewohners – die vielleicht niedrigste, aber auch gefestigtste Kaste. Grundna h rungsmittel war ein gelbes Korn, Sa-Tarna genannt – L e ben s tochter. Interessanterweise wurde Fleisch als Sa-Tassna bezeichnet, was Lebensmutter bedeutet. Übe r haupt wird im allgemeinen Sprachgebrauch Sa-Tassna als Ausdruck für Lebensmittel gebraucht. Das schien mir darauf hi n zudeuten, daß sich die Goreaner früher einmal vo r dringlich von der Jagd ernährt hatten.
Allerdings blieb mir wenig Zeit zur Spekulation, da mich mein Lehrplan sehr in Anspruch nahm. Man schien die Absicht zu haben, mich in wenigen Wochen zu einem echten Goreaner zu machen. Aber diese Wochen mac h ten mir auch Spaß, wie immer, wenn ich lernte und mich spürbar weiter entwickelte – auch wenn mir das letzte Ziel noch nicht bekannt war. In diesen Wochen kam ich mit vielen Goreanern zusammen, meistens Mitglieder der Kaste der Schriftgelehrten und der Kaste der Krieger.
Bisher hatte ich nur wenige Frauen gesehen, doch ich wußte, daß sie, wenn sie frei waren, innerhalb des K a stensystems nach den gleichen Regeln auf- oder absti e gen wie die Männer, obwohl dies offe n bar von Stadt zu Stadt verschieden war. Im ganzen gefielen mir die Me n schen hier, und ich war sicher, daß sie im wesentlichen von der Erde abstammten. Ihre Vorfahren mußten durch die sogenannten A k quisitionsreisen nach Gor gekommen und hier ei n fach freigelassen worden sein – wie Tiere in einem Waldreservat.
Bei diesen Vorfahren mochte es sich um Chaldäer oder Kelten oder Syrer oder Engländer gehandelt haben, die im Verlaufe vieler Jahrhunderte aus den verschiedensten Zivilisationen hierherkamen. Die Kinder und Großkinder hatten sich dann natürlich zu Goreanern entwickelt, w o durch fast alle Spuren der irdischen Herkunft verschwa n den. Von Zeit zu Zeit entzückte mich jedoch ein engl i sches Wort in der goreanischen Sprache – wie etwa ›Axt‹ oder ›Schiff‹.
»Torm«, fragte ich einmal, »warum ist die irdische Herkunft nicht ein Teil des Ersten Wissens?«
»Ist das nicht offensichtlich?« antwortete er.
»Nein«, sagte ich.
»Ah!« erwiderte er und schloß langsam die Augen und schwieg einige Zeit. »Du hast recht«, sagte er schließlich. »Es ist nicht offensichtlich.«
»Was tun wir also?« fragte ich.
»Wir setzen unseren Unterricht fort.«
Das Kastensystem war zwar gesellschaftlich wir k sam, doch ich hatte persönliche Bedenken. Es war meiner Meinung nach viel zu starr – insbesondere im Hinblick auf die Auswahl der Herrscher aus den Hohen Kasten und auf das Doppelte Wissen. Aber noch weitaus u n schöner war die vorherrschende Sklaverei. Für den G o reaner gab es außerhalb des Kastensystems nur drei L e bensformen: Sklave, G e setzesbrecher und Priesterkönig. Ein Mann, der se i nem Beruf nicht nachgehen oder ohne Erlaubnis des Rates der Hohen Kasten seinen Status ä n dern wollte, war automatisch ein Gesetzesbrecher und mußte aufgespießt werden.
Das Mädchen, das ich am ersten Tag in meinem Zi m mer gesehen hatte, war eine Sklavin gewesen, und das Band um ihren Hals, das ich für ein Schmuckstück hielt, war ihr Sklavenzeichen. Ein zweites Zeichen, ein Bran d mal, war unter ihrer Kleidung versteckt. Dieses ken n zeichnete sie als Sklavin, während das Halsband ihren Herrn identifizierte. Ich hatte das Mädchen nicht wiede r gesehen und überlegte, was wohl aus ihr geworden war. Allerdings fragte ich nicht nach ihr. Es gehörte zu den e r sten Erkenntnissen, die ich auf Gor gewann, daß Sorge um einen Sklaven fehl am Platze war. Ich hielt mich also zurück. Ich erfuhr von einem anderen Schriftgelehrten beiläufig, daß Sklaven freie Männer nicht unterweisen durften, weil das eine Schuld begründen würde, und weil niemand einem Sklaven etwas schuldete. Ich beschloß, mich nach besten Kräften gegen dieses erniedrigende S y stem zu wehren. Ich sprach einmal mit meinem Vater darüber, der mir nur sagte, daß es auf Gor noch viel schlimmere Dinge als die Sklaverei gäbe.
Ohne Vorwarnung raste der bronzene Speer auf meine Brust zu. Ich drehte mich zur Seite, und die Spitze durc h trennte
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