Gorian 1: Das Vermächtnis der Klingen
Kreaturen wirklich wohlfühlen konnten. Es war die magische Kälte, die sie vollkommen erfüllte und sie bis ins Innerste gefroren hielt, die ihre Körper dampfen ließ.
Die Ruderschiffe blieben im flachen Uferbereich stecken, und Dutzende von orxanischen Frostkriegern sprangen hinab. Es zischte jedes Mal, wenn einer von ihnen von Bord sprang. Sie stießen barbarische Schlachtrufe aus und brüllten sich gegenseitig mit ihren vorspringenden Mäulern an, als wären sie ein Rudel wilder Raubtiere auf Beutefang.
»Komm jetzt!«, rief Beliak. »Mit etwas Glück könnte uns die Flucht gelingen!«
Sich gegen die Übermacht der Orxanier zur Wehr zu setzen, schien der Adh gar nicht erst in Betracht zu ziehen. Und Gorian musste widerwillig zugeben, dass die Einschätzung des knollennasigen Gnomen vollkommen richtig war. Eine vage Hoffnung blieb, dass vielleicht die Magie der Schädelsteine den Angreifern wenigstens etwas von ihrer Kraft nahm.
Immer mehr der zu Frostkriegern gewordenen Orxanier sprang von den angelandeten Schiffen und wateten durch das viel wärmere Wasser der Thisilischen Bucht.
Gorian stand starr da, Sternenklinge in der Hand und den Blick auf die Angreifer gerichtet.
Und auf den grauen Nebel dahinter.
»Da kommt noch etwas!«, wusste er plötzlich.
Beliak packte ihn an der Schulter. »Weg hier, Gorian! Nimm das schnellste Pferd aus dem Stall und verschwinde von hier, solange es noch geht! Du hast gesehen, was sie mit Gaerth, ihrem Verwandten, gemacht haben! Die werden hier niemanden am Leben lassen!« Er deutete mit ausgestrecktem Arm zum Meer. »Und wenn sie dich wieder erwecken, wird das aus dir!«
Aus den Fluten stieg gerade einer der orxanischen Untoten, denen Gaerth die Hälften des durchgebrochenen Mastes in die Leiber getrieben hatte. Das Maststück stach vorn und hinten aus seinem Körper hervor. Vergeblich versuchte er, ihn sich aus der eisigen Brust zu ziehen, aber er schaffte es nicht. Das Holz glitzerte bereits, denn es war inzwischen ebenfalls mit einer dünnen Eisschicht überzogen, die noch stärker dampfte als die Körper des Frostkriegers selbst.
Der Orxanier brüllte laut und voller Wut, hob sein Schwert, das fast so breit war wie zwei menschliche Handspannen und sich an der Spitze teilte, ganz wie es der Schmiedetradition der Orxanier entsprach, und schlug mit einem Hieb vorn ein Stück des Mastes ab, sodass er nicht mehr so stark in seinen Bewegungen behindert wurde.
In den letzten Jahren hatte sich Gorian bemüht, alles über die Frostkrieger zu erfahren, was an spärlichen Informationen bis nach Thisilien gelangt war. Gaerth hatte ihm von den verzweifelten Abwehrkämpfen erzählt, die in Orxanien gegen diese Kreaturen geführt worden waren. Außerdem hatte Gorian einiges in den Schriften des Ordens gefunden, die sein Vater noch auf dem Speicher aufbewahrte.
So unterschiedlich die einzelnen Darstellungen und Berichte auch waren, in einem stimmten sie alle überein: Auch Untote waren keineswegs unsterblich, und wenn eine dieser Kreaturen so schwer getroffen wurde wie jener Orxanier mit dem Maststück im Leib, bedeutete dies normalerweise ihr Ende – und nach dem Glauben vieler auch die Erlösung desjenigen, der zum Sklaven des Unheils geworden war.
Gaerth war sich nicht sicher gewesen, ob sich die Seelen der Unglücklichen, die als Untote in den Reihen der Frostheere kämpften, nicht schon längst zuvor verflüchtigt hatten, aber auch er war davon überzeugt gewesen, dass eine schwere Verwundung für einen Frostkrieger ebenso tödlich war wie für ein lebendes Wesen.
Wenn also ein Frostkrieger so schwer zu töten war wie dieser dort, dann musste ihn eine sehr starke Kraft beseelen. Eine Kraft von dunkler Magie, die wohl auch dafür sorgte, dass die Frostkrieger nicht einfach dahinschmolzen, obwohl sie sich doch sehr weit vom kalten Reich ihres Herrn entfernt hatten.
Wind kam auf. Ein Wind, so kalt und schneidend, wie Gorian ihn nie zuvor erlebt hatte. Seine Kälte ließ die Frostkrieger wohlig aufstöhnen, und mancher von ihnen hielt die Arme empor, als wollte er ihn begrüßen.
An Beliaks Knollennase und in seinem strubbeligen Haar bildete sich Raureif, und obwohl Adhe – außer bei ihrer Entstehung – alles andere als kälteempfindlich waren, begann er zu zittern.
Beide starrten sie in die Dunstwand, wo sich ein riesenhafter Umriss zeigte. Eine Gestalt, so groß wie eines der mehrstöckigen Lagerhäuser am Hafen von Thisia, schälte sich aus dem Grau des Nebels. Sie
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