Gorian 1: Das Vermächtnis der Klingen
Ernten schlechter, das Wetter kälter und unberechenbarer, und oben im Norden sitzt Morygor, der Herr der Frostfeste, in seinem kalten Palast und sorgt mit seiner abartigen, gegen jedes Leben gerichteten Magie dafür, dass sich sein kaltes Reich stetig weiter ausbreitet. Er hat die Eisgötter durch das Weltentor zurück in unsere Welt geholt und sie zu seinen Dienern gemacht. Seine schaurigen Horden von Schreckenskriegern dehnen das Reich ihres Herrn immer weiter aus. Schon vor Jahren wurden fast ganz Torheim und die nördlichen Teile von Orxanien erobert. Die wenigen Flüchtlinge, die es bis in den Süden schafften, berichteten von furchtbaren Dingen, die dort geschehen sind. Jeder weiß, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis dieses Reich der kalten Magie eines untoten Magiers auch das Heilige Reich heimsuchen wird – aber glaubst du, man hätte versucht, irgendwelche Vorkehrungen zu treffen? Die Aufgabe des Ordens ist es, das Reich zu schützen. Stattdessen spinnen seine Oberen Intrigen und kauften die Stimmen von Herzögen, damit mit Corach IV. nun schon zum vierten Mal ein Herzog aus dem Geschlecht der Laramonteser auf den Kaiserthron gelangen kann. Und sie geben dem Kaiser Kredit, nur weil der Bischof von Atrantia und seine Priesterschaft des Verborgenen Gottes dies auch tun und man ansonsten befürchtet, nicht genügend politischen Einfluss zu behalten.« Nhorich machte eine wegwerfende Geste. »Doch niemand macht sich Gedanken über die Gefahr, die auf uns alle zukommt und der wir nichts entgegenzusetzen haben.«
»Aber was ist mit der Magie der Ordensmeister?«
»Sie wird nicht ausreichen, um der Ausbreitung des Frostreichs Einhalt zu gebieten. Der Herr der Frostfeste kann offenbar selbst die Gestirne bewegen, so mächtig ist er schon. Die alte Sternenmagie der Caladran, von der kaum jemand geglaubt hat, dass mehr dahintersteckt als eine Sage, ist von Morygor, wie es scheint, wiederentdeckt worden – oder er hat neben den Frostgöttern noch sehr viel mächtigere Helfer durch das Weltentor geholt.«
Nhorich streckte die Hand aus. Der Dolch mit den magischen Zeichen steckte in einer Lederscheide an Gorians Gürtel. Die Klinge zuckte daraus hervor und landete in Nhorichs Rechter.
Er hielt seinem Sohn den Dolch in Augenhöhe hin. »Es sind nicht nur die Zeichen der Alten Kraft, die diesen Dolch zu etwas Besonderem machen, sondern auch das Metall. Als das glühende Bruchstück in der Nacht deiner Geburt vom Himmel fiel, schmiedete ich daraus zwei Schwerter …«
»Schattenstich und Sternenklinge«, murmelte Gorian. Er kannte die Geschichte, aber er hatte diese Schwerter noch nie zu Gesicht bekommen. Es seien Waffen für besondere Schlachten, hatte sein Vater ihm gesagt. Waffen, die nicht nur Furcht bei Feinden zu wecken vermochten, sondern auch das Begehren, sie zu besitzen. Und in den falschen Händen seien sie eine Gefahr. Also bewahrte Nhorich sie an einem Ort auf, den er nie jemandem verraten hatte.
»Der Dolch besteht aus den Resten dieses besonderen Metalls. Es enthält die dunkle Kraft des Schattenbringers, und ich musste erst den Großteil davon austreiben. Nur so viel durfte zurückbleiben, dass ein Mensch sie zu beherrschen vermag und nicht ihr Sklave wird. Und bei dem Dolch ist die enthaltene Kraft noch weitaus geringer als bei den Schwertern, denn ich habe die Legierung anders gemischt. Aber es ist für dich eine gute Möglichkeit, dich zu üben. Denn wenn du den Dolch beherrschst, wirst du eines Tages auch stark genug sein, um Sternenklinge oder Schattenstich zu führen.«
Er gab ihm den Dolch zurück. Gorian betrachtete ihn mit einer Mischung aus Erschrecken und interessiertem Staunen. »Also schlummert tatsächlich die Kraft der Finsternis in dieser Waffe«, stellte er fest. »Ich habe es gespürt, als ich den Dolch zum ersten Mal sah, aber ich konnte es nicht erklären.«
»Finsternis, um die Finsternis zu bekämpfen, so wie man Feuer mit Feuer bekämpft. Es ist das einzige Mittel, das wirkt. Und wenn die Horden des Frostfürsten Morygor eines Tages auch dieses Land erobern, so wirst du seinen Schergen zumindest nicht wehrlos gegenüberstehen.«
Gorian begegnete dem Blick seines Vaters und stellte dann fest: »Du hast meine Frage noch nicht beantwortet. Was ist, wenn ich sechzehn bin – alt genug, um die Ausbildung des Ordens zu beginnen?«
»Du wirst deine eigene Entscheidung treffen müssen«, erklärte Nhorich. »Ich würde nicht versuchen, dich davon abzuhalten, dem Orden
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