Gorian 1: Das Vermächtnis der Klingen
seid, gegen Morygor bisher ausrichten können? Nichts, was man am Stand des Schattenbringers ablesen könnte!«
Thondaril, der wohl gehofft hatte, dass Gorian endlich Ruhe gab und er selbst seinen ohnehin sehr leichten Schlaf fortsetzen konnte, setzte sich wieder ruckartig auf. Das fahle Mondlicht schien in sein Gesicht, und die Schatten zeichneten die harten Linien seiner Züge nach. »Ich hoffe, du wirst deine Ansichten noch rechtzeitig der Realität anpassen.«
»Warum sollte es für mich, der Morygor in die Schranken weisen soll, Grenzen des Wissens und der Erkenntnis geben?«, entgegnete Gorian. »Ich jedenfalls werde solche Grenzen so lange nicht akzeptieren, bis sie sich nicht tatsächlich als unüberwindlich erwiesen haben.«
»Du wirst vielleicht schneller an diese Grenzen stoßen, als dir lieb ist«, murmelte Thondaril.
Auf einmal schnellte der zweifache Meister hoch, griff gleichzeitig nach dem Schwert, das er auch während des Schlafs immer in Griffweite hatte, und die Klinge wirbelte blitzartig durch die Luft, das Mondlicht spiegelte sich in dem blanken Stahl, dann verharrte Thondaril reglos.
Augenblicke vergingen, in denen er sich nicht bewegte. Schließlich entspannte sich seine Körperhaltung. »Sag mal, Gorian – folgt dir zufällig jemand?«
»Ich …«
Thondaril drehte sich herum, riss einen Dolch aus dem Gürtel, schleuderte ihn mit einem Kraftschrei auf ähnliche Weise, wie Gorian es von seinem Vater gelernt hatte, und stürzte dann hinterher, den Schwertgriff in beiden Händen.
Der Dolch fuhr in einen Strauch. Etwas bewegte sich dort, und Gorian nahm einen Gedanken wahr. Keine ausformulierte Botschaft, auch kein Bild, sondern lediglich ein Gefühl, das Gorian auch nur teilweise zu deuten vermochte.
Wut war darin.
Und Hass.
Aber auch noch etwas anderes, was nicht so eindeutig zu definieren war.
Ein Schatten sprang durch die Nacht. Etwas Dunkles schwebte blitzartig empor und wurde von der Nacht vollkommen verschluckt.
Meister Thondaril streckte seine Linke aus. Im Licht des Mondes war zu sehen, dass sich seine Augen vollkommen mit Schwärze gefüllt hatten.
Der Dolch kehrte in seine Hand zurück.
»Es ist weg«, stellte er fest. Er drehte sich zu Gorian um. »Was war das?«
»Ich weiß es nicht.«
»Es ist dir gefolgt. Das war an seinen Gedanken – oder was immer ich da auch wahrnehmen konnte – deutlich zu erkennen. Mag sein, dass du dieses Wesen nicht kennst, aber umgekehrt kennt es dich sehr wohl.«
Gorian schluckte.
»Ar-Don!«, flüsterte er, und plötzlich war er sich sicher.
»Wer ist das?«
»Der Gargoyle, der mich zu töten versuchte – und der mir im Tempel der Alten Götter das Leben gerettet hat.«
»Erzähl mir von ihm«, forderte Thondaril. »Und zwar alles.«
Am nächsten Morgen brachen sie in aller Frühe auf. Gorian schlief tief und fest wie ein Stein, und Thondaril weckte ihn ziemlich grob. »Na los, hoch mit dir! Wer die Welt von den Frostgöttern befreien will, sollte wenigstens früh aufstehen und nicht mitten im Sommer in einen Winterschlaf fallen, nur weil er mal ein bisschen wenig Schlaf abbekommen hat!«
»Ja, weil Ihr mich die halbe Nacht hindurch mit der Hartnäckigkeit eines Inquisitors nach diesem Gargoyle befragt habt!«, beschwerte sich Gorian.
Alles hatte Thondaril wissen wollen, angefangen von den Schwertern Schattenstich und Sternenklinge, die Nhorich geschmiedet hatte, bis hin zu den Geschehnissen am Tempel der Alten Götter, wo Ar-Don schließlich den Frostgott Frogyrr vernichtet hatte.
»Was auch immer dir dieses Wesen eingeflüstert hat«, sagte Thondaril, »es ist böse, und du solltest dich vor ihm in Acht nehmen!«
»Ach, und was kann man da machen?«
»Ich habe dich mit einem Zauber belegt, der das Biest von dir fernhalten sollte. Wenn es dir doch noch mal begegnet, musst du immer vom Schlimmsten ausgehen. Es ist viel Hass in ihm, und etwas davon bezieht sich gewiss auch auf dich.«
»Ar-Don ist aber nicht nur böse«, entgegnete Gorian.
»Sprich seinen Namen nicht aus«, mahnte Thondaril streng. »Das macht ihn nur mächtiger.«
»Ist Euch ein anderer Name lieber? Wie wäre es mit Meister Domrich? In dem Gargoyle ist nämlich auch einiges von seiner Seele. Ich nehme an, Ihr wisst, wer Meister Domrich war?«
»Er ist ein verschollener Held des Ordens und gilt als Beispiel vorbildlicher Pflichterfüllung«, sagte Thondaril kalt. »In Wahrheit aber war er wohl ein Narr, der durch übertriebenen Wagemut und unsinnige
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