Gorian 2
Gassen, und so waren sie Wind und Schnee frei ausgesetzt.
Das Erste, das Gorian auffiel, war die Stille.
Die Sicht war schlecht, trotzdem erkannte er, dass eine ganze Anzahl von Gondeln fehlte. Sie hatten sich in den düsteren Himmel erhoben. Der Wind verschluckte das Krächzen der Greifen.
Es musste einen Grund haben, dass viele Gondelbesitzer
es vorzogen, trotz des Unwetters geradezu fluchtartig die Stadt zu verlassen, anstatt wenigstens bis zum Morgengrauen in Embador zu verweilen.
Tote Oger lagen überall auf dem Platz. Ihr Blut rann aus schrecklichen Wunden und versickerte in den Fugen des Pflasters, während sich eine Schicht aus grauweißem Schnee auf ihren leblosen Körpern bildete. Viele hatten noch nicht einmal ihre Waffen ziehen können, bevor sie von Schwerthieben mit ungewöhnlicher Präzision niedergestreckt worden waren. Das deutete auf Schwertmeister des Ordens hin, allerdings waren viele der Oger auch hinterrücks ermordet worden.
Schattenmeister, ging es Gorian durch den Kopf. Nur sie kamen dafür infrage.
Torbas stand bei der Gondel und hatte den Seilschlangen bereits befohlen, sich um den Greifengargoyle Ar-Don zu schlingen. Als er Gorian und Zog Yaal bemerkte, lief er ihnen entgegen. »Na los, worauf wartet ihr? Wir müssen hier weg!«
Gleichzeitig aber erreichte Gorian ein Gedankenbefehl von Meister Thondaril: »Komm her! Sofort!«
Gorian begriff sogleich, dass sich sein Meister in jenem Gebäude befand, wo Greshshsht sie empfangen hatte. Er wandte sich an Zog Yaal und rief: »Geh schon mal zur Gondel und mach sie startklar!«
»Aber …«
»Geh schon!«, drängte Gorian.
Dann lief er zu dem Gebäude.
Auch dort lagen erschlagene Oger-Wachen, und im Haus musste er über die Leiche des Zahlenmagiers steigen, dem man den übergroßen Schädel gespalten hatte.
Der Bottich des Fischlinger war zerstört. Die Glassplitter
funkelten in einer riesigen Pfütze aus Salzwasser, und mittendrin lag Greshshsht, die Augen starr und die Arme weit von sich gestreckt. Er war zweifellos nicht mehr am Leben.
Meister Thondaril stand neben der Leiche, das Schwert in beiden Händen. Er sagte kein Wort. Seine Augen waren pechschwarz. Er schien auf etwas zu warten.
Oder auf jemanden, erkannte Gorian, der ebenfalls das Schwert zog.
»Meister Parrach war hier« , wandte sich Meister Thondaril mit einem Gedanken an Gorian. »Es muss sehr schnell gegangen sein. Er kam aus dem Nichts und tötete, bevor seine Anwesenheit wirklich bemerkt wurde.«
»Was tun wir hier?«, fragte Gorian in der Hoffnung, dass sein Meister und Mentor irgendeinen auch nur ansatzweise vernünftigen Plan verfolgte.
In diesem Moment drangen zwei Rauchwirbel durch eine Wand und verstofflichten. Ein jüngerer Mann – kaum älter als Gorian – stand neben einer grauhaarigen, hageren Gestalt von schwer zu schätzendem Alter.
Shabran und Parrach, erkannte Gorian sofort.
Beide hielten Schwerter in den Händen.
»Seid gegrüßt, Meister Thondaril«, sagte Parrach, und ein überlegenes Lächeln glitt über das hagere Gesicht des Leiters der Ordensgesandtschaft von Havalan.
»Ihr habt diesen Fischling ermordet«, stellte Thondaril mit tonloser Stimme fest.
»Er war ein Verräter«, entgegnete Parrach. »Der Narr hat tatsächlich geglaubt, mich hereinlegen zu können. Dabei verdankte er seine Position schon lange meiner Gnade.«
Gorian fragte sich, woher Thondaril gewusst haben mochte, dass Parrach noch einmal in dieses Haus zurückkehren würde. Er schien den abtrünnigen Schattenmeister regelrecht
erwartet zu haben, so als könnte er die Schicksalswege vorausberechnen wie Morygor, der Herr der Frostfeste.
»Ich bin hier, um Euren Schüler zu töten, Meister Thondaril«, erklärte Parrach. »Aber das wisst Ihr ja bereits.«
»Ja«, antwortete Thondaril. »Nachdem Meister Shabran wieder Verbindung zu mir aufnahm und mir Eure Absicht ankündigte, rief ich meinen Schüler her.«
Parrach wandte den Kopf und sah Gorian an. »Ich spüre deine Überraschung und die Wut über das, was du als Verrat eines Meisters an seinem Schüler empfinden musst. Beides wird deine Kräfte entscheidend schwächen und deinen Tod erleichtern.«
Gorian konnte nicht fassen, was er hörte. »Meister Thondaril … Ihr doch nicht!«
»Für deinen Meister wird es eine Zukunft geben, aber nicht für dich«, erklärte Parrach.
»Meister! Das ist nicht wahr!«, sandte Gorian einen verzweifelten Gedanken an Thondaril.
Dieser aber verschloss seinen Geist vor seinem
Weitere Kostenlose Bücher