Gorian 2
Moment kehrten die Seilschlangen zurück, krochen blitzschnell über den gepflasterten Boden auf ihn zu und streckten dabei erneut die Vorderenden empor wie Kobras. Alle waren sie extrem kurz geworden, hatten dafür aber einen Durchmesser erreicht, der an den eines durchschnittlichen Oger-Oberschenkels heranreichte.
Die erste von ihnen sprang auf Gorian zu. Der Ordensschüler schleuderte Rächer. Die Dolchklinge aus Sternenmetall durchbohrte die Seilschlange, riss sie mit sich und nagelte sie an den Fachwerkbalken eines der Lagerhäuser. Die zweite zerteilte Gorian mit mehreren Schwerthieben. Dabei konzentrierte er in gewohnter Weise die Alte Kraft auf Sternenklinge, deren Metall von einem bläulichen Leuchten umflort war.
Ein Ruf ertönte.
Es war Zog Yaal, und das Wort, das er hervorstieß, enthielt ungewöhnlich viele jener Knack- und Zischlaute, auf die das Gehör der Seilschlangen so sensibel reagierte, hatte aber andererseits auch mehr Ähnlichkeit mit menschlicher Sprache als jeder andere Seilschlangenbefehl, den Gorian bisher vernommen hatte.
Die angreifenden Kreaturen fielen augenblicklich in eine Art Bewusstlosigkeit. Sie klatschten zu Boden und gewannen dabei wieder an Länge, während ihr Durchmesser entsprechend abnahm, so als wenn sich ein Muskel entspannte. Einen Augenblick später sahen sie fast wie ganz gewöhnliche, leblose Seile aus, wie sie in jeder Hafenseilerei geflochten wurden.
Gorian streckte die Hand aus, und Rächer wirbelte durch die Luft zu ihm zurück. Er steckte beide Waffen ein. Der Brustkorb schmerzte ihm immer noch.
Aber Zog Yaal war schlimmer dran. An mehreren Stellen seines Körpers, wo er von den Eiskrähen verwundet worden war, drang schwarzes Blut durch seine Kleidung, und es lief ihm auch aus Mund und Nase. Gorian machte einen Schritt auf ihn zu, während Zog Yaal vor ihm zurückwich und die Hände abwehrend hob. »Bleib, wo du bist, Gorian! Bleib, wo du bist, und lass mich hier in Embador zurück! Ich bin nur eine Gefahr für dich, denn du kannst mir nicht mehr trauen!«
»Du warst es doch, der mich gerettet hat«, stellte Gorian fest.
»Der Notbefehl für widerspenstige Seilschlangen. Jeder bekommt ihn von den Gildenlehrern beigebracht. Aber er wurde kaum je angewendet, und es dürfte in ganz Gryphland nicht eine Handvoll Greifenreiter geben, die aus eigener Erfahrung garantieren können, dass er überhaupt funktioniert.«
Gorian machte einen weiteren Schritt auf Zog Yaal zu, aber dieser wich erneut zurück, taumelte dabei und fiel zu Boden. Abermals hob er abwehrend die Hände. »Nicht näher kommen!«, rief er, und seine Stimme überschlug sich dabei fast. »Du weißt nicht, wie lange ich Herr meiner eigenen
Gedanken und Taten bin. Ich könnte jederzeit wieder zu deinem Feind werden!«
»Das warst du nie.«
»Doch, Gorian. Ich war es, der den Seilschlangen den Befehl gab, dich zu töten. Niemand sonst. Ich war einfach zu schwach, um den Einflüsterungen der Stimme zu widerstehen. Ich war so schwach, Gorian. So verflucht schwach.«
»Aber du hast dich Morygors Einfluss letztlich widersetzt, Zog Yaal! Obwohl du keine Magie einzusetzen vermagst, um dich zu schützen! Es war nur dein Wille und die Stärke deines Charakters – und du hast einen hohen Preis dafür bezahlt!«
Gorian hatte ihn inzwischen erreicht und kniete neben ihm nieder. Er murmelte einen Heilzauber, der die Blutungen vorläufig zum Stillstand brachte.
»Du solltest dich vor mir in Acht nehmen, Gorian.«
»Ich muss mich vor jedem in Acht nehmen, denn niemand ist davor gefeit, Morygors Einflüsterungen zu erliegen. Wirklich niemand! Aber was dich betrifft, mache ich mir in nächster Zeit die geringeren Sorgen, denn du hast dich dem Herrn der Frostfeste erfolgreich widersetzt, und das ist etwas, was nicht einmal der Hochmeister des Ordens der Alten Kraft vermochte.«
Sie schwiegen eine Weile, während Zog Yaal am Boden lag und versuchte, neue Kraft zu schöpfen. Schließlich sagte er: »Die vier übrig gebliebenen Seilschlangen kann man noch verwenden. Vorausgesetzt, es gelingt mir, sie aus ihrem gegenwärtigen Zustand zu erwecken. Aber das dürfte nicht allzu schwierig sein.«
In diesem Augenblick öffnete sich knarrend eine der Türen eines vierstöckigen, in Fachwerkbauweise errichteten Lagerhauses, und zwei große, kräftige Oger traten ins Freie,
beide mit Breitschwert, Streitaxt und einer beachtlichen Anzahl von Wurfsternen am Gürtel. In Gürtelschnalle und Lederwams war das Wappen des
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